Poetenfest: Kaiser-Mühlecker stellt gelobten Roman vor

24.8.2016, 09:06 Uhr
Poetenfest: Kaiser-Mühlecker stellt gelobten Roman vor

© Jürgen Bauer

Wer sagt denn heutzutage noch "Ihm wurde ganz klamm"? Niemand. Und wenn man dann solch einen Satz aus der Blütezeit der Antiquiertheit des Menschen in einem Roman, der unmissverständlich im Hier und Jetzt spielt, liest? Dann handelt es sich mit Sicherheit um ein Buch des österrei­chischen Schriftstellers Reinhard Kai­ser- Mühlecker.

Der hat sich noch nie darum geschert, ob er sich auf der kor­rekten zeitlichen Höhe (besser: dem Tiefpunkt?) der Sprache befindet, son­dern stets seinen sehr eigenen Stil gepflegt, der von der Kritik schon mal als "alttestamentarisch" gekennzeich­net wurde – ebenso staunend skep­tisch wie bewundernd entzückt. Tatsächlich aber muss keinem klamm werden, hat er nur Freude an Sätzen, in denen sich das sorgsame Fabulieren (entstanden aus bedächti­gem Denken) und die Notwendigkei­ten unserer Moderne begegnen und auf wundersame Weise verbinden.

Kaiser-Mühleckers kleine, bedrohliche Welt

Da fliegt bei­spielsweise Alexan­der, einer der bei­den Geschwister-Helden im neuen Roman "Fremde Seele, dunkler Wald" in einem kal­ten, technischen Apparat durch die Luft, "und als das Flugzeug endlich in das für ein paar Sekunden wild fla­ckernde Grau eintauchte, atmete er unwillkürlich auf und fühlte sich in einer solch eigenartigen Sicherheit, dass ihm schien, nur ein Kind könne Derartiges empfinden, wenn es von der Mutter in die Arme genommen wurde – oder ein Sterbenskranker, der den Hauch spürte, der dem letzten Schritt des nahenden Todes voraus­ging."

Kämen nicht auch Laptop und Han­dy in diesem Roman vor, man wähnte sich in einem anderen Jahrhundert, literarisch bei Schnitzler oder Joseph Roth, in deren Tonfall Kaiser-Mühl­ecker zu erzählen vermag, ohne sie pla­giieren zu müssen. "Sie schauten noch einmal in die Richtung, aus der sie gekommen waren und wo sich seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten nichts verändert hatte...", heißt es ein­mal und wir sind mittendrin in Kaiser­Mühleckers Welt, die klein, archaisch, bedrohlich, stehen geblieben ist, wie man sie aus den vorangegangenen Büchern schon kennt.

Zwei ungleiche Brüder

Von zwei ungleichen Brüdern im Oberösterreichischen wird jetzt er­zählt, deren Lebenswege auseinander­führten und die sich kurz wieder kreu­zen – ohne dass daraus eine andere Situation entstehen könnte als die, an die man sich ewig schon gewöhnt hat. Alexander, der statt Priester Ober­leutnant wurde, und Jakob, der wie vergessen auf dem elterlichen Hof zurückblieb, hatten nie eine enge Beziehung zueinander. Und auch jetzt, da sie überraschend wieder zusammentreffen, spüren sie die alte Fremdheit, die sich festgesetzt hat in ihren Köpfen: aus den vorsichti­gen Annäherungen werden Abschät­zungen, den Konflikten aber begeg­nen sie mit der gleichen Unfähigkeit, sie auszutragen.

Sie verstecken sich vor der Wirklichkeit und bekommen ihre Wünsche und Sehnsüchte, ihre Ängste und Fluchten nicht in den Griff. Und dafür steht dann ein einfa­cher, ganz kurzer Satz, der so unnach­ahmlich Kaiser-Mühlecker ist: "Ein­sam wie ein König wirkte er manch­mal". Der einst große Bauernhof ist rui­niert, verspielt und verspekuliert vom ständig abwesenden Vater. Am Ende wird Jakob sich noch um eine einzige Kuh (die ständig brüllt!) kümmern, während die Ländereien ringsum längst verscherbelt sind. Die Großel­tern hocken auf dem Erbe und werden es später einer "rechten Partei" über­schreiben. An Zukunft ist nicht zu denken an diesem Ort zwischen Tradition und verpasstem Anschluss.

Graue Stimmung

Und wie sehr es mit den Werten in dieser einst fest­gefügten, von katholischem Glauben und geduldigem Seligkeitshoffen geprägten Landschaft bergab geht, zeigt Kaiser-Mühlecker, indem er die beiden Brüder auf unterschiedlichen Wegen obskuren christlichen Heils­bringern zuführt. Doch auch da (wie naturgemäß in der flüchtigen oder unerfüllten Liebe zu Frauen) fallen sie ab und kippen zurück in ihre Einsamkeiten, die nichts mit dem Alleinsein zu tun haben, vielmehr handelt es sich hier um eine schleichende Krankheit zum Tode.

Den schieben Jakob und Alexan­der vor sich her und ertragen den Zustand nur, weil er die Möglichkeit des Selbsttötens bereithält. Es ist eine graue Stimmung, in die dieser Roman hineinzieht; aber kaum jemand kann dies mit einer so altmodi­schen Wahrhaftigkeit, mit so erschre­ckender Zeitlosigkeit vermitteln wie der 1982 in Kirchdorf an der Krems geborene Reinhard Kaiser-Mühl­ecker, der seine Figuren, die aus ihren Vergangenheiten nicht herauskom­men, innig liebt und ihnen traurig dabei zusehen muss, wie sie schei­tern. In dieser Welt sind sie nicht zuhause, denn hier meidet man die Traurigen...

Verwandte Themen


Keine Kommentare