Radikale Maßnahmen gegen die Sinnlosigkeit

8.4.2015, 19:39 Uhr
Radikale Maßnahmen gegen die Sinnlosigkeit

© Kiepenheuer & Witsch Verlag

Thomas, 34 Jahre alt, ist überfordert, weil das Leben ihn unterfordert. „Wie lange ist es her, dass wir zuletzt irgendwas gemacht haben, das irgendwen inspiriert hat?“, fragt er an einer Stelle. Er sehnt sich nach Bedeutsamkeit, nach Größe, nach Veränderung und nach unmittelbarer Wirksamkeit. Er ist verzweifelt und gewillt, durch ein diffuses Martyrium Klarheit in das 21. Jahrhundert zu bringen.

Dafür wählt er unkonventionelle Mittel: Nach und nach entführt er ausgewählte Persönlichkeiten, um sie auf einem stillgelegten Militärstützpunkt in Kalifornien festzuketten, alle in unterschiedlichen Gebäuden. Dabei lässt er sich von einem Domino-Effekt leiten, der zwar von gesellschaftlichen Problemen ausgeht, dann aber schnell ins Labyrinth von Thomas eigener Neurose führt.

Zu Beginn kidnappt er einen Astronauten, der jahrelang darauf hingearbeitet hat, ins All zu fliegen. Als er seine Lizenz erhält, wird das amerikanische Raumfahrtprogramm eingestellt. Darin drückt sich eine gravierende Perspektivlosigkeit aus, eine lähmende Sinnlosigkeit: das Gefühl einer Generation, die in eine Welt gerät, auf der scheinbar schon alles existiert, inklusive dem unterschwelligen Gefühl eines drohenden Kollapses. Weil der Astronaut keine Antwort hat, schleppt Thomas einen Kongressabgeordneten an. Dann seinen ehemaligen Mathelehrer, seine Mutter, einen Polizisten, und so fort.

Dialoge mit Sogwirkung

Dabei muss sich der Leser die Handlung aus den Dialogen selbst zusammen fügen. Denn es gibt keinen Erzähler in dem Roman, nur Gesprächsprotokolle. So entsteht in den besten Passagen ein soghafter Drive – und Thomas Wirrheit wird nachvollziehbar. Teilweise ist der Handlungsverlauf aber auch ungelenk, unausgefeilt und unglaubwürdig.

Dabei wirft der Roman elementare Fragen auf: Wollen wir wirklich so weiter leben? Können wir dem Kapitalismus nur mit Verrücktheit entgegen treten? Wie sollen wir mit einer Welt umgehen, die in Konsumschrott und Nebensächlichkeiten erstickt? Gibt es überhaupt noch die Ambition, Besserung zu bewirken? Oder ergeben wir uns alle dem schleichenden Verfall?

Darüber hinaus muss der Leser für sich klären, ob Thomas schlicht ein Psychopath ist. Das würde bedeuten: sein Verhalten ist für größere Zusammenhänge uninteressant. Er ist eine Ausnahme und der gewohnte Trott bleibt bestehen. Oder ist Thomas ein Gradanzeiger für das stetige Verrückterwerden von allem? Das würde bedeuten: sein Verhalten ist durchaus ernst zu nehmen und der gewohnte Trott gerät aus dem Gleichgewicht. Was also ist Normalität überhaupt? Was sind Prinzipien? Was ist Moral? Und wo bleibt die Liebe?

Flüchtig geschrieben

„Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“ wirkt ein wenig so, als hätte Dave Eggers nach dem Erfolg von „Der Circle“ schnell für Nachschub sorgen wollen. Obwohl sein Ansatz, sein Inhalt dringlicher nicht sein könnten, verliert der Roman aufgrund einiger Flüchtigkeitsfehler an innerer Spannung. So ist allerdings der Leser gefragt, das angedeutete Potenzial zu verwirklichen, indem er die logischen Fragwürdigkeiten behebt und die wichtigen Bruchstücke filtert. Durch eine Auseinandersetzung mit Eggers’ Roman lassen sich durchaus tragfähige Einsichten gewinnen.

Dave Eggers: Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig? Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 18,99 Euro.

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