RAF-"Tatort": Baader, Ensslin und die Folgen

15.10.2017, 21:45 Uhr
"Deutscher Herbst" und "Todesnacht von Stammheim" liefern die historische Grundlage für den neuen Stuttgarter Fall.

© SWR/Julia von Vietinghoff "Deutscher Herbst" und "Todesnacht von Stammheim" liefern die historische Grundlage für den neuen Stuttgarter Fall.

Die Geschichte der "Rote Armee Fraktion" (RAF) und ihrer Gründungsmitglieder Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Andreas Baader wurde bereits zuhauf dokumentarisch im Fernsehen aufgearbeitet. Auch in Spielfilmen setzte man sich schon mehrere Male mit dem Kapitel RAF auseinander. Mit "Der rote Schatten" thematisiert nun der erste "Tatort" den "Deutschen Herbst".

Dominik Graf verschränkt in seinem Film die Geschehnisse aus dem Oktober 1977 mit einer aktuellen Krimihandlung, formt daraus einen regelrechten Bilderrausch. Viele andere hätten sich beim Versuch, eine derart komplexe Episode aus Deutschlands jüngerer Vergangenheit auf das "Tatort"-Raster herunterzutransformieren, wohl verhoben. Doch Graf geht äußerst klug vor. Er vermeidet es nämlich, als ein Geschichtslehrer aufzutreten, maßt sich nicht an, Antworten auf offene, bis heute ungeklärte Fragen rund um die sogenannte "Todesnacht von Stammheim" zu liefern. Graf formuliert stattdessen neue, setzt sie filmisch um. Er offeriert divergente Sichtweisen und regt zum Diskurs an.

Lannerts und die RAF

All das steht in Verbindung mit einem Mord im Hier und Jetzt, der vor allem Ermittler Lannert (Richy Müller) auch auf eine Reise zu sich selbst schickt. Der Zuschauer erfährt, dass der Kommissar einen persönlichen Bezug zur RAF hat. Er spricht vom "Krieg der Kinder gegen ihre Väter", weil man nicht "wie seine Eltern sein wollte". Doch die RAF "bombte schließlich all die Sehnsucht nach Freiheit einfach weg".

Auch Lannert habe damals "lange Haare und Parka getragen" und wohnte in einer WG in Hamburg, wo er Gudrun Ensslin einmal begegnet sei. Dieser kurze Moment habe ihn elektrisiert. Kollege Bootz (Felix Klare) staunt nicht schlecht, als ihm sein Partner das alles fast schon schwelgerisch offenbart. Schließlich kamen derart politische Aussagen eines Kommissars noch in keinem "Tatort" so deutlich zur Sprache.

Lannerts Sympathisantentum fungiert hier jedoch nicht als subtiler Aufruf zur Legitimation der Taten der RAF. Es sind einfach die Gedanken eines Zeitzeugen, eines in den Siebzigern blutjungen Burschen, der in einem unruhigen Deutschland aufwuchs.

Lannerts Worte decken sich mit denen des etwa gleichaltrigen Graf. So bekannte er in einem Interview, dass "damals jeder einen kannte, der einen kannte, der einen kannte, der irgendwas damit zu tun hatte". Graf spricht von einem "Generationskrieg, der da bis 1990 ablief bis zum Ende der dritten RAF-Generation".

Dass der Regisseur seinen "Tatort" übrigens nach Stuttgart verortet, hat natürlich einen tieferen Sinn. Die Nähe der JVA Stammheim, wo eigens für die Terroristen ein neuer Trakt gebaut worden war, machte die Menschen dort mehr als anderswo zu Zeugen und Beteiligten einer Eskalation nicht nur der Ereignisse, sondern auch der Stimmung im Land und in der Stadt. Stuttgart hält somit als Schaubild für diese damalige zerrissene Gesellschaft her, in der hinter jedem Langhaarigen ein mutmaßlicher Terrorist vermutet wurde.

Großes Polit-Kino

Um möglichst alle Hintergrundinformationen in "Der rote Schatten" unterzubringen, der durchweg auf zwei Zeitebenen spielt, einem holprigen Erzähl-Rhythmus folgt und mit Rückblenden arbeitet, bedient sich Graf vieler dokumentarischer Aufnahmen. Das Material, das den historischen Bezug untermauert, vermischt Graf mit gespielten, fiktiven Szenen derart gekonnt, dass die Trennlinie zwischen Wahrheit und Fiktion verschwimmt.

Eigentlich macht allein das diesen "Tatort" zu einem visuell ansprechenden, spannenden Film. Graf setzt aber noch eins drauf. Er erfindet eine Ex-Terroristin, die gemeinsam mit zwei Komplizen Geldtransporte überfällt, um so das Leben im Untergrund zu finanzieren. Eine Anspielung auf die drei Ex-Mitglieder der RAF Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub nach denen die Behörden immer noch fahnden.

Daneben taucht ein verdeckter Ermittler des Verfassungsschutzes (Hannes Jaenicke) auf. Durch dessen zwielichtiges Handeln thematisiert Graf die nebulösen Machenschaften des Staates in puncto V-Leute. Weil das Drehbuch mit etlichen solchen Highlights gespickt ist, möchte man "Der rote Schatten" direkt nach dem passenden zweideutigen Ende sofort ein zweites Mal ansehen. Dieser Film ist großes Kino im öffentlich-rechtlichen Programm.

Verwandte Themen


Keine Kommentare