Satire, Musik und gallige Momente

1.5.2016, 19:31 Uhr
Satire, Musik und gallige Momente

© Kaufhold

Vor vier Jahren erschien Thea Dorns und Richard Wagners „Die deutsche Seele“. Darin unternahmen die beiden Autoren eine Expedition in eine buntscheckige Nation, befragten Klischees und fanden einige auch ziemlich bestätigt. Stefan Otteni und Remsi Al Khalisi haben das Buch in ein rasantes, musikalisches Theaterprojekt überführt, das — nach dem Absingen des Deutschlandliedes — natürlich nur an einer Stelle beginnen kann: im deutschen Wald.

Der Wald — das Sinnbild eines romantischen Selbstverständnisses und Heimat identitätsstiftender Baumarten wie Eiche, Linde und Tanne. Sie eröffnen einen witzig-ironischen Dialog über ihren jeweiligen Anteil am deutschen Nationalcharakter. Eifersucht und Prügeleien inklusive.

Witz und Beklemmung

Nach und nach wird alles aufgeboten, was zwischen Flensburg und Konstanz zur gemeinsamen Sozialisation gehört: Grimms Märchenzwerge und die „Ariel“-Clementine, das Rateteam von „Was bin ich?“, Bierdümpfel, Bergfilme oder die Neigung zum Understatement.

Regisseur Stefan Otteni, der demnächst Beethovens „Leonore“ (die Urfassung des „Fidelio“) im Nürnberger Doku-Zentrum szenisch umsetzen wird, hält mit seinem spiel- wie wandlungsfreudigen Schauspieler-Quintett das Schlagtempo hoch. Immer wieder kippen satirische Überdrehungen in gallige Momente um: Etwa wenn aus Dürers „Betenden Händen“ eine absurde Tischgebetsgroteske erwächst oder sich von Null auf gleich Pegida-Pogromstimmung ausbreitet.

Da regnet es dann Flugblätter, die mit Sprüchen zum Thema „Glaube, Liebe, Hoffnung“ aus dem Internet übersät sind. „Ich hoffe, bei den nächsten Wahlen wählt ihr alle AfD!“ steht auf so einem Zettel, während im Hintergrund Willy Brandts Warschauer Erschütterungs- und Versöhnungskniefall in Dauerschleife zu sehen ist.

Blitzschnell schlägt der durchaus freche Pointendrive in lähmende Beklemmung um, wenn klar wird, dass die Deutschen innerlich eben doch zerrissen sind. Diese Zerrissenheit, das Zweifeln an der eigenen hochentwickelten Zivilisation, die gleichzeitig auch das größte Menscheitsverbrechen der Geschichte zu verantworten hat, wird zum prägenden Leitmotiv.

Großen Anteil an der bemerkenswerten Intensität des Abends hat die Musik. Die ausgezeichnete Mezzosopranistin Katarina Morfa beginnt mit Brünnhildes Gerichtszene aus der „Götterdämmerung“, singt sich durch wichtige Brahms-, Schubert- und Mahler-Lieder, betört in Bachs „Erbarme Dich“-Arie und macht deutlich: Das Gefühlige, das Melancholische liegt den Deutschen mindestens ebenso wie das Heroisch-Pathetische. Schließlich ist Morfa eine altersschwache Germania im Rollstuhl, die von einem arabischen Pfleger aufs Zimmer kutschiert wird.

Zweistündige Revue

Daneben agieren die äußerst präsenten Mitglieder der Joseph-Keilberth-Orchesterakademie der Bamberger Symphoniker, die vom „Eroica“Trauermarsch bis zu Mendelssohns „Reformations“-Symphonie manche Assoziationskette anstoßen. Die Arrangements stammten von Joolz Gale, der das Geschehen dauergrinsend auch dirigierte. Wahrscheinlich finden es Briten wirklich komisch, dass Deutsche auch nach so einer zweistündigen Revue durch ihr Ich nicht wirklich wissen, wer sie sind. . .

Die nachdenklichen Schlussworte stammen von Navid Kermani. Anhaltender Beifall für eine gelungene, kraftvolle Uraufführung im E.T.A.Hoffmann-Theater.

Weitere Aufführungen: 2. und 3. Mai und in der neuen Spielzeit. Karten: Tel. 09 51 / 87 30 30.

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