Sexperimental-Film "Touch Me Not" gewinnt auf Berlinale

25.2.2018, 15:14 Uhr
Sexperimental-Film

© Ralf Hirschberger/dpa

Mit der Vergabe des Goldenen Bären an den rumänischen Experimentalfilm "Touch Me Not" von Adina Pintilie (38) hat ein absoluter Außenseiter das Internationale Festival gewonnen. Kaum ein Beobachter hatte den von Deutschland mitfinanzierten Film auf dem Zettel. "Eine Schockentscheidung", titelte die Welt noch am Samstagabend. Die Kritikerin Katja Nicodemus sagte, bei einer Wette hätte sie ihr ganzes Vermögen gegen den Film gesetzt.

Warum? Adina Pintilie lässt wie in einem Experiment Schauspieler und echte Menschen die Spielarten menschlicher Sexualität erforschen. Man schaut beim Onanieren zu, erfährt vom Sex im Rollstuhl und geht mit in einen Sado-Maso-Club.

Das mag kunstvoll in einer Art Laborsituation inszeniert sein, ist in der zur Schau gestellten Intimität aber kaum erträglich. Hier werden Schamgrenzen nicht in Frage gestellt, sie werden niedergerissen. Viele Zuschauer verließen bei der Premiere den Saal.

Tykwer, selbst eher ein Meister des Publikumsfilms ("Lola rennt", "Babylon Berlin") sagt zur Begründung, die Jury habe nicht nur würdigen wollen, "was Kino kann, sondern auch, wo es hingehen kann".

Bitter ist dieser Kurs vor allem für den deutschen Film. Obwohl mit Christian Petzolds Flüchtlingsdrama "Transit" und mit Thomas Stubers "In den Gängen" zwei wirklich starke, ungewöhnliche Kandidaten im Rennen waren, fiel den ganzen Abend kein Wort über sie.

Zwischen Wettbewerb und Politik

Wollte der deutsche Jury-Chef sich womöglich nicht nachsagen lassen, er schaue zu sehr durch die heimische Brille? Dabei hätte mindestens der Schauspieler Franz Rogowski (32) mit seinem grandiosen Doppelauftritt im Wettbewerb einen Silbernen Bären verdient. Auch Marie Bäumer wäre als hinreißende Romy Schneider in "3 Tage in Quiberon" eine gute Wahl gewesen.

Die Nebenjurys machten das zumindest ein wenig wett: "In den Gängen", eine poetische Liebesgeschichte um zwei Wendeverlierer, erhielt die Auszeichnungen der Ökumenischen Jury und der Gilde deutscher Filmkunsttheater. Und es kommt ja noch der Deutsche Filmpreis. Neues Spiel, neues Glück?

Dafür erweist sich die Berlinale erneut als politisches Festival. Einen Silbernen Bären erhalten gleich drei Filme, die auf höchst unterschiedliche Art die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Land anklagen. So nimmt die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska, zum dritten Mal dabei, in ihrer Farce "Gesicht" ("Twarz") auch die Bigotterie der katholischen Kirche aufs Korn. Dafür bekommt sie den begehrten Großen Preis der Jury.

In dem eindringlichen Schriftstellerporträt "Dovlatov" erzählt Regisseur Alexey German jr. in starken Bildern von Stagnation und Unterdrückung in der Breschnew-Ära. Seine Frau Elena Okopnaya holt sich mit Design und Kostümen verdientermaßen die Auszeichnung für eine herausragende künstlerische Leistung.

Neue Perspektiven

Und auch der paraguayische Debütfilm "Die Erbinnen" von Regisseur Marcelo Martinessi versteht sich als eine Parabel auf ein Land, in dem die Menschen sich fühlen wie "Gefangene". Als Spielfilm, der "neue Perspektiven eröffnet", bekommt er den Alfred-Bauer-Preis.

Hauptdarstellerin Ana Brun, die in der Geschichte um ein alterndes lesbisches Paar viel von sich selbst zeigt, wird als beste Schauspielerin geehrt. Mit Tränen in den Augen sagt sie: "Ich möchte diesen Preis den Frauen meines Landes widmen, die kämpfen."

Ana Brun steht für die vielen starken Frauenfiguren, die es bei diesem Festival gab. Als knallhartes Flintenweib (Mia Wasikowska), selbstbewusste Edelnutte (Isabelle Huppert) oder mutiges Attentatsopfer (Andrea Berntzen) bringen sie neue Frauenbilder auf die Leinwand.

Und zumindest das muss man der Berlinale-Jury zugute halten: Nach der letztjährigen Gewinnerin Ildikó Enyedi ("Körper und Seele") ging der Goldene Bär erneut an eine Frau. In Zeiten der MeToo-Debatte um Missbrauch in der Filmbranche ist das immerhin ein starkes Signal.

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