Shelley schafft’s mit links

10.4.2017, 18:57 Uhr

Seinen neuen Pilgerort kennt Shelley längst: die Southam Hall im kanadischen Ottawa, mit 2065 Plätzen in Meistersingerhallen-Format, aber mit Logen, Rängen, rotem Plüsch. Morgen dirigiert er dort das National Arts Center Orchestra mit dem fabelhaften, gerade 22-jährigen Star-Pianisten Jan Lisiecki – den hätte man in Nürnberg auch gerne mal gehört. Und Shelley hofft, dass er eine schmerzhafte Schulterzerrung aus den Proben fürs Nürnberger Konzert bis dahin wieder los ist: Hier war es deshalb nur ein Konzert für die linke Hand, Shelley trug es tapfer, und seine Symphoniker zeigten sich bestens vorbereitet.

Spezialistin für Liszt

Zum ersten Shelley-Farewell kam, zum Glück mit zwei aktionsfähigen Händen, Mariangela Vacatello aus Neapel – durch ihre Diskografie als Liszt-Spezialistin ausgewiesen. Das war auch keine Übertreibung, denn das Klavierkonzert Nr. 1, mehrfach revidiert und vom pathetischen Furor des ungarischen Freiheitskampfs erfüllt, spielte sie als eindrucksvolles Liszt-Panorama zwischen Paganini und Chopin. Effektvoll gelangen schon der heroische Orchesterbeginn und die wuchtigen Oktavgänge des Klaviers. Man hört schnell, dass Vacatello genügend Kraft für den Klavier-Triumphator Liszt hat, aber auch fantastische Fingerfertigkeit für das Skurrile von dessen virtuosen Einfällen im Scherzo-Vivace. Genauso wie für die Zugaben mit ganz vielen kleinen Noten von Alberto Ginastera und Frédéric Chopin.

Aber ansonsten war das "Bin mal weg"-Programm, noch vor Shelleys Kündigung konzipiert, auf "Abschied" eingestellt. Mit der Haydn- "Abschiedssymphonie", bei der allerdings die Musiker den Dirigenten verlassen und nicht umgekehrt. Die kleine Vintage-Kammerbesetzung der Nürnberger Symphoniker spielt das fein nuanciert und dynamisch angenehm dosiert, Shelley zieht im Adagio-Exodus witzig mit.

Emotionale Höhen und Tiefen

Dann aber gab es Tragik in ganz anderen Dimensionen: Peter Tschaikowskys Symphonie Nr. 6 "Pathétique", seine letzte, sein Testament. Auch dabei muss sich der gehandicapte Shelley auf seine Linke verlassen und die aufmerksame Mitarbeit seiner Noch-Symphoniker. Die emotionalen Höhen und Tiefen der Partitur werden wie immer bei ihm ganz von der musikalischen, weniger von der deklamatorischen Linie her ausgelotet.

Effektvoll tun sich die dramatischen Brüche auf, lyrisch perfekt agieren die Holzbläser, klanglich sehr klar umrissen das Blech. Am berührendsten gelang trotz der körperlichen Malaise die schattenreiche Symbiose von graziöser Ballettszene und tragischen Untertönen. Hastig und nervös prescht das vermeintlich triumphale Allegro voran, eindeutig sind die Botschaft und das Verglimmen im Lamentoso-Finale. Am Ende wirft Shelley die Blumensträuße gezielt auch mit Links ins Publikum. Das sollte beim Nochmal-Abschied am 13. Mai die Taschentücher nicht vergessen: zum Winken und Weinen.

Nächster Symphoniker-Termin am 29. April — aber ohne Alexander Shelley; stattdessen tritt der Pianist Lars Vogt als Solist und Dirigent auf.

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