So klingt das Gewörtel von Worten

8.7.2016, 12:54 Uhr
So klingt das Gewörtel von Worten

© Foto: Sämann

Zu loben ist hier ein Buch, weil in ihm Sätze vorkommen, die man in der deutschsprachigen Literatur unserer Tage gar nicht mehr für möglich gehalten hätte:

„. . . in allem lag das Geschrittel von Schritten, das Geschlüssel von Schlüsseln, das Gewörtel von Worten“: Oder: „. . . ihm war, als wäre er in einen Schwamm geraten, der alles aufsog, was das Hotel erzählte – das Tuscheln der Duschen, das Geröll der Rolläden, rarara, Georg Horvath hielt es aus, bis er es nicht mehr aushielt.“

Beim „mittagspäuseln“

Brave Arbeitnehmer „mittagspäuseln“ hier und ein Räuspern klingt „schroff und stahl“; Eschen, so wird man klug belehrt, sind eigentlich keine Bäume, sondern „Plappermäuler mit Rinde“ und Zugvögel „stricken“ ihre Nester ins Gemäuer; und das Wort „Lämmchen“ (schon auch eingedenk Hans Falladas tragischer Heldin) „ist in der deutschen Sprache derart mit Traurigkeit umwoben wie höchstens noch die Wortfolge: ,in Sachsen-Anhalt Weihnachten allein verbringen als alte Frau‘.“

Auf jeder Seite in Saša Stanišics Erzählband „Fallensteller“ finden sich derartig unartige Köstlichkeiten, die einem auf der Zunge wie zartschmelzendes Vanilleeis zergehen und im Hirn einen Endorphin-Tsunami auslösen. Mit einer sorglosen Heftigkeit werden hier Idyllen zelebriert, die nur durch ein einziges (erfundenes) Wörtchen gleich wieder zerschmettert und geschunden vor einem liegen. Aber das alles ist so natürlich komisch, so staunend wahr und hinterhältig tragisch, dass es beim Lesen immer wieder zu diesen wunderbaren, längst vermissten oder vergessenen Momenten kommt, in denen man ohne weiteres die Literatur dem Leben vorzieht.

In unserer Welt ist vieles nicht in Ordnung und noch mehr rätselhaft, weiß Stanišic („. . . wie rassistisch ist es auf einer Skala von eins bis Pegida, ein Gesicht als schokoladenbraun wahrzunehmen?“), und fragt, indem er das Sprechen spontan von der Leine des Denkens lässt, was uns diese „ganze Weltorientierung“ eigentlich noch bringen sollte. Also stolpert er benommen in die Wirklichkeit, die ihm als ein Ausbund heiterer Katastrophen begegnet. Seine Kumpane und Weggefährten sind der Globalisierung von Geld und Geist nicht immer ganz gewachsen, seine Zuneigung verschenkt er an die, die ohnehin nichts haben: „Das Sympathische an Fischen ist ihre konstante Niedergeschlagenheit. Es gibt den fröhlichen Fisch nicht.“

Nonchalante Melancholie

Folgerichtig ist auch der Ton des 1978 in Bosnien-Herzegowina geborenen Saša Stanišic von nonchalanter Melancholie, gepaart mit einer Sorglosigkeit ob des richtigen Tonfalls, den man im zeitgeistigen Literaturbetrieb anschlagen müsste, um erfolgreich gehört zu werden. Er selber hat mit dem nichts am Hut, hüpft aus den feuilletonverzierten Rahmen (und kriegt trotzdem Deutsche Buchpreise!) und macht sich seinen Reim auf Szene und Kollegen: „Plötzlich fällt der Schriftsteller rücklings über Bord in den Rhein und ertrinkt ein bisschen. Die beiden anderen wägen seine Bedeutung für die Weltliteratur ab, und ob es sich also rentiert, ihn zu retten . . .“

Spätestens seit Stanišics Erfolgsroman „Vor dem Fest“ ist klar – aber das deutete sich ja schon in seinem Erstling „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ an –, dass hier einer schreibt, der als ein begnadeter Sprachzauberer auch noch die Fähigkeit besitzt, Geschichten erzählen zu können, ganz einfach, weil sie eben erzählt werden müssen. Die aber kippen in ihrem Wahn- und Irrwitz bisweilen schwer ins Surreale und stellen Denk- und Gewissheiten ohne Not auf den Kopf. Was sie dann freilich noch bedenkenswerter und gewissenloser macht.

Großes Vergnügen

So begegnen wir in „Fallensteller“ diesen ganz normalen Abenteurern des Alltags, die noch zaubern und sich noch erinnern können, die aus einer nie beendeten Vergangenheit kommen, ohne große Hoffnung, in einer trüben Zukunft existieren zu können.

Dabei sind das Personal und die Orte tatsächlich von nebenan: Da begegnen wir Migranten und Menschenrechtsaktivisten, da geht es in trostlose ostdeutsche Dörfer und um verlorene Heimat, die EU bereitet Kummer und ein Rattenfänger bringt Ordnung ins brüchige soziale und politisch sehr bedenkliche System. Stanišics Kunst ist es eben, für Überraschungen sorgen zu können, wo man eigentlich und endlich den Stillstand im knarzenden Getriebe unserer eiernden Ordnung erwartet hätte.

Aber nichts da! Stanišic pflückt neben madigen Äpfeln auch immer noch Träume von unseren absterbenden Lebensbäumen. Und in die Fallen, die er uns stellt, tappen wir mit dem allergrößten Vergnügen.

Saša Stanišic: Fallensteller. Erzählungen. Luchterhand Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro.

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