Social Distortion On The Road

12.2.2011, 00:00 Uhr
Social Distortion On The Road

© Indigo (Epitaph Europe)

Leises Grollen aus dem Motorraum. Das Triebwerk läuft warm. Der markante Klang des Achtzylinders schnurrt synchron mit dem eigenen Herzschlag. Der Wagen rollt. Noch bevor das wuchtige Instrumental läuft, ist der Weg bereits klar. Der Highway ruft. Einsamkeit auf endlosen Straßen, öde Strecken, schnurgerade durch karge Prärie und immer ein Lied im Ohr, während sich Gedanken überschlagen wie staubtrockener Wüstensand im Wind. Ob Mike Ness eine ähnliche Szenerie im Kopf hatte, als er an "Road Zombie" feilte, ist nicht klar. Doch schon der stimmungsvolle Opener, der komplett auf Text verzichtet, klingt wie ein einziger wunderschöner Trip in einem amerikanischen Oldtimer. Eine Fahrt, die ein einst wütender und jetzt weiser Mann allein bestreiten muss, nur begleitet von teurem Tabakwerk, trinkenswertem Bourbon und "Hard Times And Nursery Rhymes", dem neuen Album von Social Distortion.

Weiter geht die Reise, kurvig und weich, mit "California (Hustle and Flow)". Sofort zündet der unvergleichliche Groove, durchzogen von Springsteen-Blues und eindrucksvollen Hintergrund-Chören à la Joe Cocker. Eine Stimmung, die sich subtil aber eindrucksvoll durch den gesamten Longplayer zieht. Ebenso bei "Gimme The Sweet and Lowdown", der Song, der die Drehzahl spontan nach oben korrigiert. Social Distortion sind anspruchsvoller geworden. Die Arrangements sind durchdachter, ausgefeilter, weniger roh, aber mit Ecken und Kanten und einem speziellen Charme. Ein Tempolimit gibt es nicht mehr. Wenn Mike Ness von "Swing", "Swag" und der inneren Stimme singt, steht der Fahrer stur auf dem Gaspedal. Bereits nach den ersten drei Meilen erreicht das Album mit "Diamond In The Rough" einen vorläufigen Höhepunkt. Ein typischer und kerniger Social D-Song, der dem Hörer kein Gefühl aufzwingt, ihn aber mit einer rührigen Stimmung in die Mitte des Albums entlässt.

Gestrandet und hilflos

Kaum viereinhalb Minuten später befindet sich der Fahrer auf der Überholspur. Der "Machine Gun Blues" dröhnt wuchtig aus den Boxen, die Straßenschilder ziehen schnell vorbei. Noch gut drei Minuten bis zum nächsten Tankstopp. Das Navigationsgerät zeigt an: "35° 21′ N, 119° 2′ W". Und während frischer Treibstoff die Gehörgänge flutet, wünscht man sich, wesentlich länger als sechseinhalb Minuten in "Bakersfield" verweilen zu dürfen. Eine grandiose Ballade, die eigentlich ein Road Movie hätte sein sollen.

Gestärkt geht es zurück auf die staubige Strecke. "Far Side Of Nowhere" wartet bereits und mit dem leichten und positiven Ohrwurm die zweite Albumhälfte. Das schwermütige "Alone And Forsaken", eine Coverversion von Hank Williams, hat es ebenfalls in die Fahrgastzelle geschafft, nachdem das Stück schon seit Jahren live gespielt wird. Die Country-Packung "Writing On The Wall" lässt schließlich an der Anschlussstelle keinen Zweifel daran, dass "Hard Times And Nursery Rhymes" mit einer Botschaft enden wird.

Kurz vor der Zielgeraden dreht der Motor nochmal richtig knackig hoch. Mike Ness und die ungewohnten aber genialen Gospel-Chöre machen eines klar: Lebe jetzt, lebe hier, lebe schnell. Genuss und nichts bereuen; eine Botschaft die mit "Can’t Take It With You" treffender und leichtfüßiger nicht hätte sein können. Dass das treibende und eingängige "Still Alive" dem Fahrer ein Lächeln ins Gesicht zaubert, kann am Ende nur als würdiges Finale bezeichnet werden. Auf den letzten Metern bleibt nur ein kurzes und herzergreifendes Piano-Intermezzo, das den Zuhörer mit der Sehnsucht nach Freiheit und dem unbändigen Streben nach Glück und Zufriedenheit in den Sonnenuntergang steuern lässt. Das sanfte Schnurren des Motors im Ohr, immer auf dem Weg Richtung Horizont.

Fazit

Die Reise ist vorbei. Und obwohl sie nur gut 45 Minuten dauert, ist der Hörer fasziniert und erfreut zugleich. Mike Ness hat es erneut geschafft, sich einer Weiterentwicklung zu unterziehen, die treuen Fans dabei aber nicht gänzlich zu verschrecken. Ein Prozess, den man mit dem Erwachsenwerden gleichsetzen kann. Die Pubertät ist endgültig vorbei. Altes ist abgelegt aber nicht komplett verschwunden. Musikalisch traut sich die Band auf neue Wege.

Die ungewohnten Background-Vocals passen wie die Faust aufs Auge und können das Tempo ebenso halten wie die nachdenklichen Stücke. Schön, dass das Album trotz des vollen Tanks Gefühl zu keinem Zeitpunkt in Kitsch ausartet. Dafür gibt es einen straßentauglichen Soundtrack für den Sommer, der eben genauso verbracht werden möchte. Draußen, am besten mit dem Cabrio in der warmen Abendsonne. Eine klare Kaufempfehlung von der Abhördienst-Redaktion.

Bewertung: 10 von 10

Übrigens: "Social D" spielen 2011 auch bei Rock im Park.

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