Stadttheater: Die Liebe im glamourösen Labor

14.4.2015, 09:30 Uhr
Stadttheater: Die Liebe im glamourösen Labor

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Rainer Werner Fassbinder ließ Petra von Kant 1972 vor der Filmkamera vorsätzlich in einem pathetischen Kammerspiel ohne Furcht vor Kitsch scheitern. 27 Jahre war das Multitalent damals alt, im Jahr zuvor hatte sein gleichnamiges Theaterstück in Frankfurt Premiere gefeiert und war vom Publikum mit der gewünschten Verstörung oder Hingabe goutiert worden.

Was kann man mit diesem Melodrama heute anfangen? Barish Karademir strippt ab, was die Erinnerung an den Neuen Deutschen Film verklebt und verpasst dem, was übrig bleibt, eine konsequente Ästhetik, wie sie glamouröser Hochglanzwerbung zu eigen ist. Das funktioniert nicht nur, sondern ist in manchen Momenten beängstigend – ja, schön.

Gezeigt wird zunächst einmal eine Geschichte, deren Parameter alt sind. Es geht um Begehren und Anziehung, um Macht und Abhängigkeit, in diesem Fall zwischen der Modemacherin Petra von Kant und ihrer Geliebten Karin. Befeuert wird der gebräuchliche Mix von einem vertrauten Treibstoff – der Einsamkeit. In Fürth läuft dieses Spiel in einem Setzkasten ab (Ausstattung: Christiane Becker). Fach für Fach lässt sich darin existieren. Ein mobiler Glaskasten – geräumig genug für ein bis zwei Menschen – wird immer mal wieder zum Schauplatz für Konfrontationen. Nicht neu, aber wirkungsvoll wie je, verleiht dieses Arrangement dem Ganzen das Flair einer Versuchsanordnung.

Bewusst ironiefrei

Karademir ist Regisseur und Choreograph, er arbeitet klug mit den Möglichkeiten, die Sprache und Körper, Hören und Sehen eröffnen. Erzählt wird bei ihm ebenso sehr mit Bewegungen wie mit Worten und Musik, die nicht untermalt, sondern mitredet. Das geht von Händels Hit Lascia ch’io pianga („Lass mich beweinen mein trauriges Schicksal“) über Marilyn Manson und Pink Floyd („Wish you were here“) bis zu David Bowies „Major Tom“ in seinem Raumschiff.

Wenn etwas an der Inszenierung zu erstaunen vermag, dann ist es der vollkommen ironiefreie Einsatz der Mittel, den sich Karademir erlaubt. Das ist verblüffend, weil diese Methode nach Jahren, in denen wir uns daran gewöhnt haben, jeder Regung eine satirische Verbrämung zum Zwecke der Konterkarierung zu verpassen, beinahe exotisch wirkt. Die Absage an die permanente Ironiemühle weckt hier schlicht Gefühle für die sechs Frauen, die in diesem Emotionslaboratorium auf der Bühne gefangen sind.

Ulrike Fischer als Petra von Kant ist eine Frau im Jetzt, die der Urkraft ihrer Empfindungen zwangsläufig hilflos gegenüber stehen muss, sobald die sorgfältige Glasur ihrer Ratgeber-Beziehungsregeln spröde wird. Ihr zur Seite agiert im überzeugend besetzten Ensemble Kim Bormann (Karin Thimm) mit bodenloser Oberflächlichkeit und beredter Körperlichkeit. Neben Renate Heuser, Birgit von Rönn und Elinor Eidt ist Karin Yoko Jochum die sprachlose Bedienstete Marlene, die ihre Liebe in einer dezent devoten Selbstauflösung zelebriert.

Das detailverliebte Bühnenspiel lässt bedachtsam gesetzte Zeichen mitwirken, die den schmalen Grat zur Manieriertheit gerade nicht überschreiten. So gelingt dieser Inszenierung die spannungsgeladene Analyse eines Gefühlsgeflechts, für das es keine vernünftigen Statuten gibt. Gestern nicht, heute nicht und morgen – das macht Karademirs letztes Bild mit sanfter Hand deutlich – auch nicht.

Keine beruhigende Sachlage. Aber ein sehenswerter Abend.

Aufführungen: 14. bis 17 April, Karten-Telefon: 09 11/ 974 24 00

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