Stau-"Tatort" aus Stuttgart: Erfrischend anders

10.9.2017, 21:45 Uhr
Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) ermitteln diesmal in einem Stau auf der Stuttgarter Weinsteige, hoch über der Stadt.

© SWR/Andreas Schäfauer Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) ermitteln diesmal in einem Stau auf der Stuttgarter Weinsteige, hoch über der Stadt.

Die Idee zu seiner ersten "Tatort"-Geschichte kam Kino-Regisseur Dietrich Brüggemann bereits einige Zeit bevor ihn der SWR in Person von Brigitte Dithard tatsächlich fragte, ob ihm zum Stuttgarter Ableger etwas einfiele. Brüggemann drehte vor Jahren den Film "Kreuzweg" im Umkreis der schwäbischen Landeshauptstadt. Er und sein Team fuhren viel umher und standen dauernd im Stau. Auch auf der Weinsteige, wo man immerhin einen herrlichen Ausblick auf die Stadt genießen kann. Dieses Bild manifestierte sich offenbar im Kopf des Filmemachers. Als Dithard ihn nun kontaktierte, antwortete er mit den Worten: "Ja, da fällt mir in der Tat etwas ein. Nämlich Stau auf der Weinsteige."

An eben dieser Stelle spielt sich "Stau" die meiste Zeit ab. Ein Auto reiht sich ans andere. Denn ein Wasserrohrbruch veranlasst die Schupo, die Straße zu sperren. In einer der zum Stillstand verdonnerten Wägen muss der Verursacher eines tödlichen Verkehrsunfalls sitzen, der sich kurz zuvor in einem nahe gelegenen Wohngebiet ereignet hat. Die einzige Ausfallstraße führt direkt auf die Weinsteige. Und die ist nun eben dicht. Nichts geht mehr. Weder vor, noch zurück.

Ein "Tatort" mit nur zwei Settings

Während Thorsten Lannert (Richy Müller) die Insassen der Fahrzeuge unter Anfangsverdacht stellt, flirtet Sebastian Bootz (Felix Klare) mit der Mutter eines Zeugen und hält am zweiten Spielort des Films die Stellung. Somit besitzt "Stau" gerade einmal zwei Settings. Eine Spielregel, die Brüggemann sich gerne auferlegt hat. So betont er, dass für ihn jede Einschränkung hilfreich sei. Demnach könne sich im Rahmen dieser Festlegung eine Geschichte überraschender entfalten. "Das Drehbuch hat sich jedenfalls wie von selbst geschrieben", gesteht der Regisseur und Autor in Personalunion und klingt dabei keineswegs überheblich.

Gerade weil der Plot mit lediglich zwei Schauplätzen auskommt, fällt das Ensemble des Films umso reichhaltiger aus. Brüggemanns Krimi gleicht einem riesigen, vor sich hin blubbernden, dramaturgischen Dampfkochtopf mit einer Vielzahl an Protagonisten. Der Zuschauer blickt auf ein soziales Gefüge, auf eine bunt zusammengewürfelte, aus allen Schichten der Gesellschaft stammende Truppe, die allein Bruder Zufall zusammengeführt hat. Mit zunehmender Dauer spielen sich innerhalb und außerhalb der kleinen und großen Wägen ebenso kleine wie große Dramen ab. Die Figuren geraten immer mehr in eine emotionale Schieflage. Sie gehen Allianzen ein. Und brechen sie. Wie wir alle. Daher dürften sich in den Szenen viele wiedererkennen.

Kein Krimi von der Stange

Um seine Hauptpersonen noch besser zu charakterisieren, bedient Brüggemann sich zahlreicher Songs, die er gleich zu Beginn den verschiedenen Autofahrern zuweist. Anhand der Lieder, die er in schnellen, stimmigen Gegenschnitten einander gegenüberstellt, wird rasch klar, in welchem Gemütszustand sich ein Darsteller gerade befindet, was in ihm vorgeht. Das traurige Lied der Klarinette, das sich mal dominanter, mal etwas zurückhaltender durch den ganzen Film zieht, stammt übrigens von Brüggemann selbst.

Dieses wehklagende musikalische Thema soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Stau" eher eine mit Heiterkeit garnierte und mit einer großen Portion Lokalkolorit ausstaffierte Gesellschaftskomödie ist, in der ein hervorragend aufspielendes Ensemble vor die Kamera tritt. Eben deshalb und weil hier weder Bösewichte auftauchen, die wie wild um sich schießen, noch furchtbar entstellte Opfer in Blutlachen liegen, ist "Stau" kein "Tatort" von der Stange. Brüggemann bedient sich nur weniger klassischer Krimi-Komponenten – er verzichtet sogar auf einen typischen Mord – und bastelt daraus einen erfrischenden, unterhaltsamen Beitrag zur "Tatort"-Reihe, zu dem man ihn nur beglückwünschen kann.

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