"Substanzen"-Schau im Kunstpalais Erlangen

2.3.2018, 14:43 Uhr

© Harald Sippel

Seit Anbeginn nascht der Mensch an allem Möglichen. Gelegentlich mit fatalen Folgen. Doch was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker. Oder sensibler in der Wahrnehmung. Manch Konsum verursacht Durchfall, aber auch visionäre Schau, ungeahnte Gefühle, Glücks- wie Angstzustände.

"Altered States", so heißt auch ein bildgewaltiger Film von Ken Russell (deutsch: "Der Höllentrip") über einen Mediziner, der Drogenexperimente an sich vornimmt. Die Erlanger Schau hingegen nähert sich dem Phänomen eher künstlerisch und sachlich – und gelegentlich altbacken. Das beginnt bei der Ausstellungsarchitektur: gezackte Spalten ziehen sich durch die Stellwände, stets scheint die festgefügte Wirklichkeit aufzubrechen. Das verursacht Schrecken und Unbehagen. Doch kann der Einbruch des Irrealen nicht auch harmonisch und überwältigend verlaufen? Warum sonst suchen Menschen ihr Glück in verbotenen Substanzen?

Lassen sich Realität und Irrealität miteinander in Einklang bringen? Suzanne Treister schildert in ihrer Installation "HFT The Gardener" die Geschichte eines fiktiven Börsianers, der Zusammenhänge zwischen Rauscherfahrung, Botanik, Börsenkurs und Zahlensymbolik herstellt, um schließlich ein geschlossenes System aufzubauen. Da korrespondieren botanische Begriffe mit hebräischer Kabbalistik, werden Zahlen und Figuren auf heilige Schriften wie Börsencodes angewandt. Wahnsinn mit Methode – und eine uralte Tradition, die schon die Schriftgelehrten der Antike bei Laune hielt.

Doch Drogen sind nicht alles. Auch die vom Doktor verordnete Medizin ist eine Substanz jenseits der reinen Nahrungsaufnahme. Nicht allein zum Gesundwerden, sondern zur Leistungssteigerung oder – vornehmer ausgedrückt – zur Selbstoptimierung. Aus einem Durchbruch in der Decke lässt Carsten Höller sekündlich Tabletten auf den Boden regnen. Ein Wasserspender lädt den Besucher zum Probieren ein. Der Tablettenberg soll im Lauf der Ausstellung wachsen bis zum Schluss.

Auf Aleister Crowleys Spuren in Sizilien begibt sich Joachim Koester. Der bekennende Satanist Crowley hatte in den 1920er Jahren bei Cefalu seine Abtei Thelema gegründet und willige Jünger mit einem drogengestützten Initiationsritus seinem Willen unterworfen – wie man munkelt, auch für sexuelle Horizonterweiterungen. "Tu, was du willst – dies sei das ganze Gesetz!" Fotografien überwucherter Ruinen und verblichene Wandmalereien sind alles, was davon übrig ist. Melancholie und leiser Grusel stellen sich ein.

Der Nebenraum lädt zum Verweilen und Lesen. Der Besucher darf sich auf dem bunten Großeltern-Sofa Bücher von Drogenaussteigern und Sachberichte zu Gemüte führen. Nach dem Motto "Siehste, Kind, wir hatten dich gewarnt!" Allerdings rieselt aus drei Monitoren Stegreif-Comedy aus dem US-Fernsehen. Die Kunst der Improvisation, auf Zuruf spontan irrwitzige Geschichten und Zusammenhänge zu konstruieren ohne chemische Nachhilfe – auch das ist eine Geistesleistung am Rande des Irrsinns.

Einkaufswagen steckt im Zuckerberg

Schamanisch, cineastisch und zuckersüß wird es im Keller. Eine sieben Tonnen schwere Halde aus weißem Zucker mit verschüttetem Einkaufswagen verdeutlicht den Süßstoff, der seit Jahrzehnten unsere Ernährung wie unsere Laune prägt. Eine Installation von acht Monitoren zeigt die Gesichter von Menschen auf Trip. Im Halbschlaf, träumend oder gestikulierend, bieten sie einen eher bemitleidenswerten Anblick.

Und die körpereigenen Substanzen? Transgender greifen auf die Hormone des anderen Geschlechts zurück, um sich in eine neue bzw. in die ureigene Rolle zu finden – und sei es als Hermaphrodit. Eine Filminstallation präsentiert die Verwandlung des fraulichen Körpers zum männlichen Muskelpaket. Ein anderer Film zeigt eher brav einen LSD-Trip im Park. Schön grün, mehr nicht. Wogegen ein hypnotischer Kurzfilm Computerscans vom Gehirn, medizinische Schockbilder und Sonnenuntergänge wild durcheinandermischt.

Angesichts des riesigen Themas bietet "Altered States" nur einen Einblick. Vor allem vermisst man den Zusammenhang zwischen Rausch und Religion. Jedes Hochamt mit Weihrauch, unverständlichem Latein und Orgelmusik erzählt mehr von Entgrenzung, Innenschau und Apotheose als manche Installation. Ganz zu schweigen von der Erlanger Bergkirchweih mit ihren Exaltationen.

bis 21. Mai im Kunstpalais Erlangen, Marktplatz 1. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Mi. 10 bis 20 Uhr

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