Szenen einer Ehe

26.1.2015, 19:21 Uhr
Szenen einer Ehe

Plötzlich wird es ganz gefährlich. Das Paar diskutiert im Auto bei hoher Geschwindigkeit, der Mann gerät in Wallung, es gefällt ihm nicht, was die Frau sagt. Er lenkt er den Wagen auf die Gegenfahrbahn. Ob mit Absicht oder aus Versehen, das bleibt offen. Es geht noch mal gut.

Der Mann ist Hartmut Hainbach (59), Philosoph mit Lehrauftrag. In Stephan Thomes letztem Roman „Fliehkräfte“ war er Protagonist. Da begab er sich auf einen Road-Trip durch Europa, fand in Paris eine alte Liebe, was er zu Hause verschwieg. Die Frau ist Maria, Portugiesin aus Lissabon, einst Studentin in West-Berlin, lange mit dem Professor verheiratet, aber zehn Jahre jünger als er und ihm nicht immer treu. Beide leben getrennt: Er in Bonn, sie in Berlin. Die Wochenendehe führt zu Spannungen, beide werden einander immer fremder.

Der Sinologe Thome (42), der auch Philosophie studiert hat, kann schreiben. Zeitdiagnose und Figurendarstellung sind überzeugend, das Buch hat auch einen Sog der Melancholie, dem Leser nicht entkommen. Jeder kennt solche Leute, solche Ehen, solche Schicksalsergebenheit, solche Sehnsucht. 20 Jahre lang hat Maria die Karriere ihres Mannes, dessen Schwerpunkt Sprechakttheorie ist, eskortiert, nun will sie, seit die gemeinsame Tochter aus dem Haus ist, etwas Eigenes machen. Der Alltag wird nicht mehr zusammen geteilt, andere Menschen werden wichtig – und damit fangen die Probleme an.

Maria wird Assistentin eines Theatermannes, der mit Heiner Müller zusammengearbeitet hat und den die Portugiesin im Finale der DDR zum Liebhaber erkor. Sie wird abermals sein Opfer, der Jähzornige, der an frühere Erfolge seit Jahren nicht mehr anknüpfen kann, behandelt sie nicht gut. Zugleich läuft ihr Lissabon-Film ab, eine Aufarbeitung, die sie bisher verdrängt hatte. Die Nelkenrevolution war ihre Jugend, die verlor sie im Chaos der Ereignisse an einen Fotografen, der sie entjungferte und schwängerte, aber zur alten politischen Garde gehörte. Wegen ihm und weil er es finanzierte, ging sie nach der Abtreibung nach Berlin. Dort rutschte sie ins Gegenteil, in die linke Szene mit Demos und Steinewerfern, in hässlichen WGs und von der Polizei verwarnt. Es rollte sich aber auch ihre Hausfrauenepoche auf, mit der sie unzufrieden war und sich deshalb auf auch auf Dämmersex im Waschkeller mit einem geilen Nachbarn einließ. Das alles bedrückt sie jetzt, der Ehemann weiß nichts davon.

Die Ehe-Aussetzer schwelen aber in den Seelen der beiden, und als Maria ihre Aufarbeitung ausgerechnet der Tochter erzählt und diese sie an den Vater weitergibt, wird der Philosoph grimmig und lässt die Ehefrau mit Bedacht wissen, dass er es ist, der die Miete ihrer Berliner Wohnung bezahlt. Hintenrum versucht Maria über einen Freund den Gatten nach Berlin zu holen, dort könnte er in den Verlag des Freundes einsteigen. Beide umkreisen sich, belauern sich, hoffen auf ein Wunder, das nicht eintritt. Thome beschreibt das so: „Gemeinsame Lebenslügen sind komplizierte Gebilde, aber das zugrundeliegende Prinzip ist simpel: Einer will nicht hören, was der andere sich nicht zu sagen traut.“ So ist das in vielen Ehen.

Stephan Thome erweist sich mit den beiden Romanen als Spezialist der Feingefühle. Vordergründig geht es um die Selbstfindung einer Frau, zugleich aber um den gekränkten Mann. Ohne Lebenslügen geht es nicht, gerade in der Mittelschicht, wo noch alte Lebensstile gültig sind, mit gleichzeitiger Sehnsucht nach einer Lebenserweiterung. Es ist die Stärke des Romans, dass Thome zu dem Schluss kommt: Die größte Herausforderung für Paare ist, sich in der Ehe irgendwie einzurichten, irgendwie durch- und weiter zu kommen. Thome ist ein bemerkenswerter Realist.

Stephan Thome: Gegenspiel. Roman. Suhrkamp, Berlin. 464 Seiten, 22,95 Euro.

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