Tanz mit Gänsehaut-Qualität: "Don Quijote" in Nürnberg

23.4.2017, 19:23 Uhr
Tanz mit Gänsehaut-Qualität:

© Jesús Vallinas

Die weite Bühne gleicht einem Lager oder Irrenhaus, bevölkert von chimärenhaften Kreaturen, das sepia-farbene Licht, die staubigen Säcke auf dem Boden, die Kostüme erinnern an die Zeit des "Don Quijote"-Autors Miguel de Cervantes, doch von Anfang an ist klar: Was wir hier erleben, geht uns alle an, spiegelt unsere eigenen Ängste und Alpträume und die gegenwärtigen Katastrophen.

Goyo Montero will Don Quijote als universalen Charakter und sehr heutige Figur zeigen. Dafür hat er sich so weit wie noch nie vom neoklassischen Ballett entfernt, fordert seine Tänzer vor allem auch als Schauspieler heraus. Sie meistern ihre Aufgabe bravourös.

Die wagemutigen Abenteuer des "Ritters von der traurigen Gestalt" finden hier zumeist als Schattenspiele hinter einer riesigen, metallisch-braunen, rollbaren Wand statt, die Räume abgrenzt, die Tänzer in die Enge treibt, als Projektionsfläche für Don Quijotes Fantasiewelten dient. Doch was vor dieser Wand geschieht, wird zu einer Erzählung über die Bedrängnisse des Menschen und seine Sehnsucht nach Erlösung.

Zum Kämpfer ist sein Don Quijote (Rachelle Scott; das Spiel mit den Geschlechterrollen gehört zum Konzept) nicht geboren. Eher ein sanfter Träumer als ein Held, muss er – wie die Romanfigur – erst erschaffen werden durch den vielstimmigen Chor der Tänzer. Und auch als er, dank Sancho Panzas (Natsu Sasaki) Insistieren, endlich ritterhaft hoch zu Ross sitzt, schaut er so unsicher in die Welt, dass ihm Großes kaum zuzutrauen ist. Ein staunender Fantast, der trotzdem gegen das Böse zu Felde zieht.

Solange Montero aus dem Märchenhaften schöpft, steckt in dieser Inszenierung viel feiner Witz. Und zur bewegendsten Szene wird ein von Iván Delgado in der Rolle der Dulcinea ergreifend gesungenes Liebeslied, das von einem leidenschaftlichen Pas de deux begleitet wird.

Das größte Kunststück, das Montero gelingt: Er bindet das alte Märchen an die Gegenwart an, beschwört optisch die Vergangenheit und erzählt doch vom Heute – von einer Welt, die dringend einen Kämpfer gegen das Unrecht bräuchte. Krieg, Gewalt und Folter, ein Diktator, ein brutaler Einsatz gegen Demonstranten – all das wird hier zu unheimlich gegenwärtigen Bildern. Einmal rollt die große Metallwand bedrohlich nah an den Bühnenrand, von unten werden die Tänzer heraufgezogen – Gekenterte, die sich noch retten konnten, und im rot flackernden Sirenengeheul vor der hochaufragenden Grenzmauer kein Erbarmen finden.

Vor allem die erste Hälfte des Abends lässt einen fast den Atem anhalten. Dazu trägt wesentlich auch der geniale Soundtrack von Owen Belton bei, der nach der Zusammenarbeit mit Montero für "Cyrano" und "Latent" diesmal die gesamte Musik kreierte. Knisternd, fragil, suggestiv, düster, aggressiv überwältigend und mit vielen Geräuscheffekten hat Belton für "Don Quijote" eine Partitur geschaffen, die Hochspannung erzeugt und zugleich unglaublich präzise ist.

Dieser "Don Quijote" ist des mehrmaligen Anschauens wert, nicht nur weil die Rollen des Ritters und Sancho Panzas wechselnd besetzt sind. Demnächst übernehmen Oscar Alonso und Sayaka Kado.

Weitere Vorstellungen: 28. April, 12., 15., 18., 20., 24., 26., und 31. Mai, 2. und 10. Juni; Karten-Tel.: 0 18 05/ 23 16 00.

Verwandte Themen


Keine Kommentare