TV-Kritik: "Hardcore" ist gerade noch so "Tatort"-tauglich

8.10.2017, 21:45 Uhr
Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) unterhält sich mit zwei Pornodarstellern (Martin Bruchmann und Sebastian Fischer) am Set.

© BR/Hagen Keller Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) unterhält sich mit zwei Pornodarstellern (Martin Bruchmann und Sebastian Fischer) am Set.

Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch das der Pornoproduzenten. Nachdem das Herstellen freizügiger Liebesfilme vor über 40 Jahren erlaubt wurde, entwickelte sich ein immenser Run auf Sexclips. Der Boom auf nackte Haut machte sehr viele sehr schnell sehr reich. Doch die Pornographie durchlief im Laufe der Dekaden eine gewaltige Metamorphose. Zum Nachteil der großen Produzenten.

Saßen zur Goldgräberzeit noch Hunderte Leute Seite an Seite in Kinos, um sich die Filme anzusehen, sorgte die Videokassette dafür, dass man sich die Produktionen nun bequem auf der Couch zu Gemüte führen konnte. Nach der Entwicklung der DVD, die die Vervielfältigungsmöglichkeiten immens vereinfachte, revolutionierte das Internet die Branche und setzte der alteingesessenen Industrie herbe zu. Statt auf diesen Zug mit aufzuspringen, ruhten sich die großen Bosse auf ihren Lorbeeren aus.

Nun beherrschen Amateure das Geschäft. Bäckereifachverkäuferinnen, Buchhalter oder Immobilienverwalter stellen in ihrer Freizeit pornographisches Material her. Schätzungen zufolge drehen etwa 50.000 Menschen Pornoclips. Damit ist Deutschland das Land, in dem - im Verhältnis zur Bevölkerung - am meisten Menschen selber Pornographie machen.

Deutschland ist Pornoland

Wer all das weiß ist Journalist Philip Siegel. Für sein Buch "Drei Zimmer, Küche, Porno" fuhr der Autor quer durch die Republik, legte sich in zahlreiche Betten und sprach dabei mit Unmengen an Protagonisten. Mit seinem Werk hat Siegel Regisseur Philip Koch offenbar inspiriert. Denn "Hardcore" spielt sich in eben diesem Milieu ab. Es präsentiert einen vor der Pleite stehenden Produzenten alter Schule, dessen Vater - der "König des Lederhosen-Films" - oben auf dem Speicher mit dem Tod ringt. Koch zeigt daneben einen aufstrebenden Filmemacher, der billige Amateur-Clips herstellt. Mädchen, die "einfach nur ficken" wollen, keinen Bock auf "ATM" haben und natürlich eine Leiche, die dem Anlass entsprechend knapp bekleidet ist. Außerdem wäre da noch die Familie der Toten, die erst posthum von deren Doppelleben erfährt.

Auch wenn Koch an der einen oder anderen Stelle übertreibt, zu viele Figuren in seine Geschichte zu integrieren versucht und damit "Hardcore" überlädt, ist sein Ansinnen durchaus edel. Im Pressedossier des BR betont er, sein Ziel sei es gewesen, einen authentischen, ehrlichen Film zu generieren, der einen schonungslos unverblümten Blick in diese Branche und ihre Menschen werfe. Darüber hinaus wolle er mit Klischees aufräumen und mehr als einen spannenden Krimi entwerfen, in dem Ivo Batic (Miro Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) so ganz nebenbei auch noch ein von ihnen bislang unerforschtes Terrain betreten. Da dürfte es den Buddy-Cops übrigens wie vielen "Tatort"-Zuschauern gehen. Sie müssen optisch wie sprachlich einiges erdulden. Dutzende Nackerte laufen durchs Bild. Planschbecken voll mit Körperflüssigkeiten werden in Großaufnahme gezeigt. Es ist von "Bukkake" und von "Creampie" die Rede. Außerdem lernen die Kommissare noch zwei junge Männer kennen, die beim Warten auf den Dreh und der Inbetriebnahme ihres "Arbeitsgeräts" über Steuerfachfragen fachsimpeln. Franz, der zunächst für Dirk gehalten wird, kommt gerade recht und kann mit einem Tipp von der Seite punkten.

Keine kritische Milieustudie

Trotz der vielen nackten Haut und der direkten, derben Sprache ist "Hardcore" gerade noch so "Tatort"-tauglich. Aber eben keine bierernste Milieustudie, keine kritische Szenebetrachtung, wie sie Koch ja eigentlich im Sinn hatte. Immerhin konnte der Filmemacher mit ein paar Vorurteilen aufräumen. So ist diese Welt eben nicht von Halbkriminellen bevölkert. Und Frauen, die immerzu genötigt, misshandelt, gezwungen und gegen ihren Willen degradiert werden. In der Amateurpornobranche tummeln sich Nachbarn, Kollegen, Freunde. Leute wie du und ich.

Sieht man mal von den berühmten Ausnahmen von der Regel ab, die es überall gibt. Unterm Strich ist "Hardcore" also nicht mehr, aber auch nicht weniger, als ein netter, halbspannender Whodunit, in dem die Buddy-Kommissare auf eine für sie typisch humoristische Weise Bekanntschaft mit der Erotikwelt schließen und Assi Kalli seine erste Festnahme feiern darf.

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