Verführt von den Seelenfängern des Dschihad

23.3.2017, 08:00 Uhr
Verführt von den Seelenfängern des Dschihad

© Neue Visionen

Keine Frage, das Thema ist derzeit virulent. Regelmäßig tauchen in den Medien Berichte über Propagandavideos im Internet auf, mit denen junge Menschen für den IS angeworben werden sollen. Die Verführer haben es mitnichten nur auf junge Männer aus einem muslimischen Umfeld abgesehen. Auch Mädchen gehen den Seelenfängern ins Netz. Und es sind nicht nur fragile und einsame Charaktere, die in Versuchung kommen. In Frankreich stammen nach Recherchen der Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar mehr als die Hälfte der jungen Frauen, die zum IS überlaufen, aus der Mittel-, manchmal sogar aus der Oberschicht.

Stellvertretend für sie verschränkt Mention-Schaar in "Der Himmel wird warten" nun die fiktiven Schicksale von zwei jungen Pariserinnen, die auf dem Weg in den Dschihad sind. Verbunden werden die beiden Geschichten durch die ganz reale Anthropologin Dounia Bouzar, die das französische Zentrum zur Entradikalisierung, Prävention und individuellen Betreuung (CPDSI) mitbegründet hat. Mit ihren Mitarbeitern berät sie Eltern, deren Kinder in den Sog des IS geraten sind. Die Regisseurin hat sie mehrere Wochen begleitet und aus Bouzars Fällen die Figuren und den Plot für ihren Film gleichsam exemplarisch destilliert.

Es ist mitten in der Nacht, als eine bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheit die Wohnung stürmt, in der die 16-jährige Sonia (Noémi Merlant) mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester lebt. Sonia wird festgenommen, weil sie in Verbindung mit Leuten stand, die einen Anschlag vorbereiteten. Für die Eltern ist es ein Schock, für die junge Frau ein Glück, denn nur so entkommt sie — wenn auch vorerst gegen ihren Willen — den Dschihadisten.

Mélanie geht den Weg in die umgekehrte Richtung. Passend dazu erzählt Mention-Schaar ihre Geschichte in der Rückblende. Man begegnet einer ganz normalen jungen Frau, die Freundinnen hat und Cello spielt, die harmonisch mit ihre alleinerziehenden Mutter zusammenlebt — bis sich ein Märchenprinz aus dem Orient via Facebook in ihr Jugendzimmer schleicht. Der raffinierte Verführer mit dem Löwenlogo kommt genau zur rechten Zeit. Als Mélanies geliebte Oma stirbt, ist er derjenige, der die richtigen Worte findet. Doch aus Komplimenten werden Anweisungen, bald zieht das Mädchen regelmäßig den Gebetsteppich unter dem Bett hervor und spielt das Cello im dunklen Niqap. Ihre Mutter spürt von all dem nur eine latente Ablehnung, die sie als pubertäre Phase interpretiert. Als Mélanie eines Tages verschwunden ist, bricht für sie eine Welt zusammen.

Marie-Castille Mention-Schaar will zeigen, wie es kommt, dass junge Menschen aus gutbürgerlichen Verhältnissen den IS-Anwerbern auf den Leim gehen, wie traumatisch solche Situationen für die Eltern sind und wie schwierig der Weg zurück ist. Es gelingt ihr am besten in den dokumentarisch wirkenden Momenten, wenn Dounia Bouzar als erfahrene, zwischen Islam und Islamismus differenzierende Vermittlerin auftritt. Die fiktiven Sequenzen — in denen sich Sonia im Hausarrest ohne Handy wie eine Drogenabhängige im kalten Entzug mühsam vom IS abnabelt und Mélanie sich vice versa immer mehr isoliert — erlauben zusätzlich einen wenn auch etwas klischeehaften Blick in die Gefühlswelt der Mädchen. Mitunter wirkt der Film durch seine komplizierte Erzählstruktur dann aber doch etwas unrund. (F/105 Min; am morgigen Freitag ist Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar zur 19-Uhr-Vorstellung im Nürnberger Filmhaus zu Gast.)

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