Warum sich kaum einer mehr für die Oscars interessiert

21.2.2019, 15:46 Uhr
Sie sind weiterhin aus massivem Gold gefertigt und dennoch verlieren die Oscars ihren Wert - weil mutmaßlich nicht mehr die besten Filme, sondern die politischsten ausgezeichnet werden.

© Nicolas Armer/dpa Sie sind weiterhin aus massivem Gold gefertigt und dennoch verlieren die Oscars ihren Wert - weil mutmaßlich nicht mehr die besten Filme, sondern die politischsten ausgezeichnet werden.

Am 25. Februar bringt die Verleihung der Academy Awards wieder den großen Glanz und Glamour nach Hollywood. Dann wird sich die US-Traumfabrik einmal mehr in sündhaft teure Kleider und Anzüge hüllen, über den roten Teppich vor dem Dolby Theatre in Los Angeles flanieren und auf den Gewinn des begehrtesten Preises in der Unterhaltungsindustrie hoffen.

Blöd nur, dass die von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences im anonymen Abstimmungsverfahren vergebenen Goldjungen längst nicht mehr ihren ursprünglichen Zweck erfüllen, nämlich die inhaltlich und handwerklich besten Filme des vergangenen Jahres auszuzeichnen. Der neueste Trend in einer mittlerweile langen Liste an seltsamen Gesetzmäßigkeiten der Verleihung: Eine hemmungslose Politisierung des Events.

Oscars sollen durch Politik wieder relevant werden

Neben Moderatoren und Laudatoren, die die große Bühne nutzen, um in Ansprachen über die drängenden politischen Probleme unserer Zeit zu sprechen, führt vor allem die Auszeichnung filmisch mangelhafter, aber dafür sehr politischer Stoffe zu Unmut von Beobachtern der Verleihung. Diese Entwicklung stellt die fehlgeleitete Reaktion der Academy auf seit Jahren sinkende Zuschauerzahlen und öffentliche Resonanz dar.

Eine krampfhafte Politisierung soll der Veranstaltung mittlerweile eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und normative Kraft andichten, wobei die Academy den Anspruch hegt, dass die ausgezeichneten Filme den Zustand der Gesellschaft wiederspiegeln. Das Ergebnis ist jedoch vielmehr die Zunahme der Unglaubwürdigkeit einer Preisverleihung, die sich stetig auf einen sich bloß selbst beweihräuchernden Branchentreff zubewegt.

Unter Filmfreunden stellen Oscar-Tippspiele, deren Ziel es ist, möglichst viele Gewinner im Vorhinein korrekt vorherzusagen, eine jährliche Tradition dar. Experten in diesen Prognosen wissen, dass bei den Oscars längst nicht die beste cineastische Leistung über den Sieg eines Films in den jeweiligen Kategorien bestimmt. Selbst bei den objektiv eigentlich leichter bestimmbaren, weil handwerklich eindeutigeren, technischen Kategorien gewinnen nicht unbedingt die Filme, die sich im vergangenen Jahr um die größte Leistung verdient gemacht haben. Teilweise werden diese Filme nicht einmal nominiert.

Stattdessen kommt es auf eine Vielzahl anderer Aspekte an. Erschien der Film pünktlich zur jährlich im Herbst beginnenden Awards-Saison und räumte bei anderen Verleihungen viele Preise ab? Hat die nominierte Person in der Branche eine Lobby? Auch inhaltliche Kriterien begleiten die Wahl der Oscar-prämierten Filme schon immer. In der Kino-Gemeinschaft bildete sich über die Zeit hinweg der Begriff "Oscar bait" (etwa "Oscar-Köder") heraus, der sich auf distinkte Charakteristika von Filmen bezieht, die besonders gute Chancen auf den Gewinn mindestens einen Oscars haben. Dazu zählen aufwändig produzierte Historienfilme epischer Länge, die tragische historische Ereignisse wie den Holocaust oder die Sklaverei in Amerika behandeln. Wenn die Qualität nicht für den "besten Film" reichte, bekamen derlei Filme häufig in kleineren Kategorien wenigstens eine Art Trostpreis zugesprochen.

Politisierung dient der Imagepflege

Schon seit langer Zeit untergraben diese Art von Gesetzmäßigkeiten hinter den Kulissen die Glaubwürdigkeit und letztlich auch den Wert der Oscar-Verleihung, die beispielsweise Komödien seit vielen Jahren konsequent aus der Zeremonie ausschließt. Mit der Auszeichnung sehr politischer Stoffe, die nach Academy-Logik eigentlich dazu dienen sollte, die Verleihung wieder für eine breite Öffentlichkeit relevanter zu machen, bewegt sich die Preisverleihung nun weiter in die völlig falsche Richtung und führt ihren eigentlichen Sinn ad absurdum.

Die Veranstaltung gerät zunehmend zum Selbstzweck, denn die Auszeichnung gesellschaftspolitisch aufgeladener Stoffe stellt im Falle der Academy auch die Überkompensation eigener Verfehlungen in der jüngeren Vergangenheit dar. In den vergangenen Jahren musste sich diese berechtigterweise Vorwürfe der Ungleichheit gefallen lassen. Bis vor wenigen Jahren fanden sich unter den Preisträgern nicht nur sehr wenige Frauen, sondern auch eine verschwindend geringe Anzahl an farbigen Gewinnern, was im letzteren Fall auch Zeugnis eines strukturellen Rassismus in der Branche war.

Es ging nicht nur darum, dass Frauen oder Farbige keine Preise erhalten, sondern vor allem darum, dass sie auch viel seltener als Schauspieler, Regisseure, Kameraleute oder Autoren eingestellt wurden und dass Hollywood-Filme deutlich seltener Frauen in den Mittelpunkt rückten, genauso wie Personen, die nicht weiß sind.

So resultierten in den Sozialen Medien Hashtags wie "#OscarssoWhite" und "#TimesUp", die der Branche gar nicht gelegen kamen. Die Antwort der Academy, die seitdem ihre Anzahl an Mitgliedern jährlich um immer mehr Frauen und Personen unterschiedlicher ethnischer Herkunft aufstockte, bestand vor allem in der Auszeichnung von Filmen, die den bösen Verdacht von Ungleichheit in der doch sonst so betont liberalen Branche schnellstmöglich wegwischen sollten.

Während Frauen in der diesjährigen Verleihung aber schon wieder völlig unterrepräsentiert sind, führte dieser Dissonanzausgleich Hollywoods vor allem in den vergangenen zwei Jahren zur rapide ansteigenden Nominierung und Auszeichnung von Filmen von und mit Farbigen wie "Moonlight" oder "Get Out". Filme dieses Hintergrunds sind 2019 sogar stärker denn je mit Werken wie "Black Panther", "BlacKkKlansman" oder "Beale Street" vertreten.

Die Oscars entfernen sich von ihrer Basis

Werden diese Filme also nur nominiert und ausgezeichnet, weil sie von Afroamerikanern stammen oder kennzeichnen sie einfach die besten Filme des Jahres? Allein die Tatsache, dass sich diese Frage kaum mehr beantworten lässt, legt das Problem der Oscars offen, die sich zur Imagepflege und zum Rückgang der Zuschauerverluste in einem heuchlerischen Reformwahn verstrickt haben, der den symbolischen Wert des Preises enorm mindert. Die Ironie besteht darin, dass beispielsweise den bei Zuschauern überaus beliebten Kassenschlagern wie "Bohemian Rhapsody" oder "A Star Is Born" in so gut wie gar keinen Kategorien gute Chancen mehr eingeräumt werden. Die Anerkennung, nach der es die Academy gelüstet, verliert sie damit bei der Basis - den Cineasten. Dabei sind sie es, die dabei helfen können, den Zuschauerrückgang wieder umzukehren. Währenddessen können sich die Macher der ausgezeichneten Filme nicht mehr sicher sein, ob es wirklich ihre außerordentliche Leistung war, die den Gewinn des Preises zur Folge hatte.

Was die Academy nicht erkennt: In zunehmend politischen Zeiten sind es nicht die politischen Stoffe, nach denen sich die Bevölkerung sehnt, sondern die unpolitischen eskapistischen Filme, die den ursprünglichen Sinn von Kino erfüllen und den Zuschauer in einnehmende fiktionale Welten entführen. Ein Blick auf die Geschichte der eigenen Verleihung zeigt beispielsweise, dass in den politisch unruhigen 60ern Musicals und Komödien Jahr um Jahr die Trophäe für den "besten Film" abräumten und gleichzeitig auch beim Publikum überaus beliebt waren. 

Gerade für die ebenfalls sinkende Anzahl deutscher Zuschauer, die sich die Nacht um die Ohren schlagen müssen, um die Verleihung live verfolgen zu können, stellt sich die Frage: Wann geht es endlich wieder um die Filme selbst anstatt um deren politische Begleiterscheinungen? Und für wen soll ich im Tippspiel eigentlich auf den Gewinn des "besten Films" tippen? Für das Rassismus-Drama "Green Book", das mexikanische Drama "Roma", dessen Auszeichnung inmitten der Mauer-Thematik Trumps sehr opportun scheint oder doch "Black Panther", das schließlich vor und hinter der Kamera fast ausschließlich mit Farbigen besetzt ist? Für die Auszeichnung aller weiterer Kandidaten könnte sich die Academy schließlich nicht zuprosten.

Verwandte Themen


3 Kommentare