Weihnachtsgrüße aus dem Krisengebiet

13.12.2015, 17:41 Uhr

kurz vor der Meistersingerhalle ertönen im Freien erste Klänge eines St. Petersburger Hornquintetts. Ein nachdenklich stimmendes Zusammentreffen, da an diesem Samstag der ostukrainische Knabenchor aus der Metroplole Charkiv in der Nähe des ostukrainischen Krisengebietes konzertiert. Musikalischer Frieden also?

Freundlicher Applaus, als die Nürnberger Symphoniker die voll besetzte Halle betreten, gespannte Stille, bevor die Weihnachtsouvertüre von Otto Nicolai erklingt – ein Suchspiel für die Ohren, die in immer neuen Varianten und Besetzungen das bekannte Thema „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ entdecken können – lebendig gespielt und dirigiert von Vladimir Yaskorski. Bei der folgenden Psalmvertonung Mendelssohns zeigt nun der Charkiver Knabenchor sein junges Können gemeinsam mit dem Orchester und einer Bassgruppe, die im letzten Satz beinahe das Beben der Erde beim Text über den Auszug Israels aus Ägypten spürbar werden lässt.

Ein Klangjuwel des Abends ist das Violinkonzert E-Dur von J. S. Bach – interpretiert von der ebenfalls aus Charkiv stammenden Solistin Tetyana Gapeyeva. Wie üblich in der Tradition zu Bachs Zeiten spielt sie die Orchesterparts mit, tritt dann daraus solistisch hervor und wird im steten Rollenwechsel wieder Teil des Orchesters. Im Mittelteil des ersten Satzes entfaltet sich die größte Virtuosität. Nach dem wunderschön getragenen Adagio des zweiten Satzes erklingt das Allegro Assai am Ende in einem sehr flotten Tempo, welches ein wenig den tänzerisch artikulierten Charakter vermissen lässt, das Werk jedoch schwungvoll und souverän zu Ende führt.

Nach der Pause gehört die rot ausgeleuchtete Bühne zwischen den zwei Christbäumen den Charkiver Chorknaben unter der Leitung von Olexiy Koshman. Die Kleinsten von ihnen mögen im frühen Schulalter sein. Sie singen mit Inbrunst die traditionell-ukrainischen Weihnachtslieder, wünschen musikalisch guten Abend, malen vokale Klangbilder von Dudelsackpfeifern und Glocken, bis sie sich an das noch anspruchsvollere Programm des 20. Jahrhunderts heranwagen. Neue Klangräume mit percussiven Elementen wie Klatschen und Stampfen werden erobert.

Leonid Shukaylos „Hallelujia“ lässt die Stimmen mit ungewohnten, aber klaren Melodiestrukturen ineinandergreifen, spreizt den Stimmumfang zu höchsten und tiefsten Klängen gleichermaßen – höchste, beinahe lupenreine Gesangskunst wird geboten.

Im Saal herrschen Erstaunen über und Sympathie für die kleinen und größeren Sänger, die nun mit Giulio Caccinis „Ave Maria“ in eine andächtigere Stimmung und zu den internationalen Weihnachtsliedern überleiten. Sie wünschen uns „Stille Nacht, heilige Nacht“ und wir wünschen eine gute weitere Reise nach diesem erstaunlich vielseitigen Abend.

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