Wie man aus einem Gameboy Musik rauskitzelt

8.11.2018, 19:16 Uhr
Wie man aus einem Gameboy Musik rauskitzelt

© Foto: Ed Bower/Edward Keef

Herr Fertala, Sie kommen gerade von der Musikhochschule Nürnberg, wo sie einen Gameboy-Musik-Workshop gehalten haben. Wie lief es?

Hannes Fertala: Super. Die Musikstudenten waren sehr interessiert, haben nach einer kurzen Einführung still vor sich hin programmiert und waren von den Möglichkeiten, die sich ihnen auf den alten Geräten boten, recht angetan.

Sie veranstalten "Chip Hits The Fan", ein Festival für 8-Bit-Musik. Was genau ist Chiptune?

Fertala: Achtung, nicht verwechseln mit Chiptuning – das ist das, was man bei einem Auto macht, damit es schneller fährt. Hier sind es zwei Worte, Chip und Tune: Tune ist der Sound oder Song, der aus einem Chip rauskommt, und der Chip ist in unserem Fall der Soundchip von einer alten Spielekonsole. Die hatten früher ein eigenes Bauteil auf der Platine hocken, das nur dafür zuständig war, die Musik zu generieren – nicht so wie heute, wo das alles integriert ist. Ziel bei uns ist es, einen Tune aus diesem Chip rauszukitzeln.

Schön und gut, aber warum widmen Sie sich einem Spielzeug aus der digitalen Steinzeit, anstatt sich willig den wundervollen technischen Musikproduktionsmöglichkeiten der Hier- und Jetztzeit zu ergeben?

Fertala: Die Sache ist die: Der Gameboy Classic macht einen ganz hervorragenden Sound. Das liegt daran, dass man damals nicht allzuviel Wert darauf gelegt hat, dem Soundchip einen gewissen Feinschliff zu geben – also zum Beispiel die Bässe ein wenig abzufedern, so dass das die eingebauten Mini-Lautsprecher auch schaffen. Den Entwicklern war das damals offenbar egal, mit dem Effekt, dass der Sound hier quasi pur und ungefiltert aus dem Chip rauskommt – als reine Wellenformen. Weil da zum Teil analoge Technik mitspielt, ist außerdem immer auch ein Grundrauschen dabei, was den Gameboy nicht so steril wie einen Laptop klingen lässt. Ich sag mal so: Der Gameboy Classic aus dem Jahr 1989 hat eine ganz eigene Klangcharakteristik, die ein bisschen dreckig ist. Auch die Tatsache, dass der Sound beim alten Gameboy auf vier Kanäle beschränkt ist, sorgt für gewisse Einschränkungen. Da muss man schon ein bisschen Kreativität zeigen, um auf so einem Gerät komplexe und trotzdem ansprechende Songs zu produzieren.

Soweit die technische Erklärung. Doch woher rührt die Leidenschaft?

Fertala: Natürlich schwingt da viel Nostalgie mit. Meine ersten Computer waren der Commodore 64 und der Amiga 500, auf beiden hat mich schon damals die Musik fasziniert. Ich steh einfach auf diesen Sound und wollte genau so eine Musik selbst machen. Irgendwann bin ich dann beim Gameboy gelandet, weil er kompakter und leicht mitzunehmen ist.

Wie man aus einem Gameboy Musik rauskitzelt

© Foto: Andi Pntanus

Für das ungeübte Ohr klingt das stets ein wenig nach fröhlichem Piepskonzert. Hören Sie da Unterschiede raus?

Fertala: Schon. Ein Amiga klingt anders als ein C64 und der wieder anders als ein Gameboy. Der Amiga hat gar keinen richtigen Soundchip mehr eingebaut, da werden bereits Samples abgerufen und ausgegeben. Zwar kann man am Amiga den Sound eines Gameboys simulieren, aber das klingt dann trotzdem ein bisschen anders. Der Commodore 64 hat nochmal ganz andere Möglichkeiten der Klangherstellung und auch andere Filtermöglichkeiten, er ist dem Gameboy klanglich ein wenig voraus, was die Komplexität angeht und was man damit anstellen kann, ist aber schwieriger zu bedienen. Aber auch hier hört man einen Unterschied raus.

Geht es bei "Chip Hits The Fan" nur um Gameboys?

Fertala: Nein. Wir hatten auch schon Musiker dabei, die auf alten Computern musiziert haben und sogar welche, die moderne PCs dabei hatten. Aber in den letzten Jahren hat es sich herauskristallisiert, dass sich vor allem Gameboys in der Chiptune-Szene großer Beliebtheit erfreuen – weil sie verfügbar und auf Ebay leicht zu kriegen sind, weil sie wie gesagt einen hervorragenden Sound haben und weil es vergleichsweise einfache Software gibt, mit deren Hilfe man Musik auf ihnen machen kann – einfacher als auf einem alten Commodore 64. Das Schöne beim Gameboy ist außerdem, dass man ihn bequem mitnehmen kann und keinen extra Monitor braucht. Gerade live ist das superpraktisch: Einfach ans DJ-Mischpult anschließen, und schon wird gerockt.

Wenn bei "Chip Hits The Fan" schon Spielecomputer und -konsolen herumstehen – wird da dann auch gezockt?

Fertala: Wir hatten immer auch eine Retrogaming-Ecke mit Spieleklassikern wie "Mario Cart" und "Pong" eingerichtet. Dafür haben wir uns auch extra alte Röhrenfernseher besorgt, was langsam echt zu einem Problem wird (lacht). Primär geht es bei "Chip Hits The Fan" aber tatsächlich um Musik – um 8-Bit-Sound in einer möglichst großen Bandbreite. Wir achten sehr darauf, das Festival so abwechslungsreich wie möglich anzulegen: dass da was zum Tanzen dabei ist und mal was Rockiges oder auch Künstler, deren Musik an alte Computerspielsoundtracks erinnert. Dieses Jahr haben wir unter anderem gWem aus England dabei, der zu seiner Chiptune-Musik live E-Gitarre spielt. Von den 14 Künstlern aus Europa, die wir 2018 eingeladen haben, wird es übrigens auch einen CD-Sampler geben.

"Chip Hits The Fan" ist Teil der Bewerbung Nürnbergs zur Kulturhauptstadt 2025 und wird vom Projektbüro der Stadt unterstützt. . .

Fertala: Als Österreicher und somit Außenstehender muss ich sagen, dass Nürnberg in Sachen Alternativkultur vorne mit dabei ist. Auch, was Computerspiele, Chiptune und Retro-Computer-Veranstaltungen angeht, ist die Stadt gut aufgestellt. Hier passiert überraschend viel.

 

 Aus der PC-Urzeit: Der Game Boy

Im April 1989 stellte die japanische Firma Nintendo den Game Boy der Weltöffentlichkeit vor. Bei vielen Fans erfreut sich das tragbare 8-Bit-Handheld, das sich inklusive seiner diversen Nachfolger (Color, Pocket, Advance) 118,69 Millionen Mal verkauft hat, jedoch bis heute ungebrochener Beliebtheit – als Oldtimer und ikonische Spielkonsole.

Trotz der in Smartphone-Zeiten nachgerade lächerlichen technischen Möglichkeiten rangieren zahlreiche Game-Boy-Spiele bis heute unter den ewigen Computerspielklassikern. Allen voran natürlich die monochrome Version des Pixel-Puzzles "Tetris" mit seiner berühmten "Music A", dem russischen "Korobeiniki"-Lied, das heute sogar von klassischen Orchestern gespielt wird.

Was nicht jeder weiß: Der klassische Game Boy, in Fan-Kreisen auch dmg89 (für "Dot Matrix Game Boy" und das Erscheinungsjahr 1989) genannt, hat einen erstaunlich guten Soundchip verbaut. Dessen fünf Stereo-Kanäle lassen sich mit ein paar Soft- bzw. Hardwaretricks ansteuern und programmieren. Aus dieser Möglichkeit heraus hat sich im Zuge der Nerdkultur eine weltweite Chiptune-Fanszene entwickelt.

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