Wiens Jugend rebelliert: Austro-"Tatort" mit Krimi-Novum

22.1.2017, 21:45 Uhr
Wiens Jugend rebelliert: Austro-

© ARD Degeto/ORF/Hubert Mican

Nach einer gefühlten Schwemme von Episoden, die sich vornehmlich um die alles beherrschenden Themen Zuwanderung, Terror und Rechtsradikalismus rankten, zielt der neue Ösi-"Tatort" in eine andere Richtung. Das Erfolgs-Duo Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermittelt im 15. gemeinsamen Fall rund um die Wiener Wirtschaftsuniversität und fahndet dort nach einem zu allem bereiten Studenten, der vorhat, seine Eltern zu töten. Damit müssen die Kommissare das erste Mal keinen Mord aufklären, sondern einen verhindern.

Regisseur und Autor Rupert Henning will mit seiner zweiten "Tatort"-Arbeit nach "Grenzfall" jedoch in keinem Moment einen Amoklauf nachstellen, jede Menge Blut vergießen und sich auf diese Weise das Interesse des Zuschauers ergaunern. Hennings Bestreben ist es vielmehr, das zugrunde liegende Motiv des jungen Hochschülers herauszuschälen. Daher spielt das angekündigte Verbrechen gar keine so bedeutsame Rolle. Es findet letztendlich auch gar nicht statt. Zumindest nicht im geplanten Ausmaß. "Schock" zeigt dagegen, wie ein scheinbarer Vorzeigestudent heimlich, still und leise zu einem wild entschlossenen Attentäter heranreift.

"Ich bin völlig normal"

Gleich in der Eröffnungssequenz erklärt David Frank (Aaron Karl) sein Vorhaben und kündigt an, Hinweise auf seine Beweggründe Stück für Stück preiszugeben. Mit ruhiger, besonnener Stimme spricht der Mann in einer halbdunklen, leerstehenden Fabrikhalle in eine Kamera und streamt die Worte direkt ins Netz: "Ich bin normal. Völlig normal", sagt er. "Mein Name ist David Frank. Ich werde meine Mutter, meinen Vater und anschließend mich selbst töten. Und ich werde mich bemühen, Ihnen zu erklären, warum."

Nach und nach fügen sich die Handlungsstränge nun zusammen. Mittels Rückblenden, die geschickt mit Szenen aus der Gegenwart verwoben sind, vermittelt Henning wichtige Einblicke in das Leben des Studenten. Er ist Sohn sehr gebildeter und reicher Eltern. Die noble Villa im 18. Bezirk schmückt unter anderem ein teurer Flügel, der auf einem ebenso edlen Fischgrätparkett thront. Trotzdem ist es im Anwesen furchtbar kalt. Obwohl die Heizung läuft. Womöglich hat diese vom Elternhaus ausgehende Kälte ihren Anteil an der Verwandlung des David Frank. Schon früh wird dem Buben eingebläut, dass es "später einmal nicht wichtig ist, wer man ist, sondern was." Sätze wie diese brennen sich für immer ins Gedächtnis ein. Jeden Tag – so scheint es – zerbricht der junge Mann etwas mehr am Leistungsdruck, den ihm das Elternhaus und auch die Gesellschaft auferlegt.

Mit Gewalt die Welt ändern?

Dieser Druck trifft aber nicht nur Kinder reicher Eltern. Er trifft alle. Viele Jugendliche finden trotz bester Ausbildung heutzutage nicht mehr den geeigneten Job. Wenn sie einen haben, können sie davon nicht wirklich leben, sich keine Zukunft aufbauen. Doch unser System ist darauf ausgelegt, nicht genug für alle bereitzuhalten. Nur so kann es überhaupt funktionieren. Und weil das so ist, ist die Anzahl der Verlierer stets größer, als die Anzahl der Sieger. Somit bleibt die Illusion des Menschen, wonach jeder für sein Glück verantwortlich ist und es zu etwas bringen kann, wenn man sich nur entsprechend bemüht, ein frommer Wunsch eines Ahnungslosen, der sich niemals erfüllen wird.

Auch wenn David selbst eigentlich beste Zukunftsaussichten besitzt, liefert die tolerierte Ungerechtigkeit die Motivation für sein Handeln. Bei der Maßnahme, mit Gewalt diese Welt ändern zu wollen, zitiert der Student gar Worte eines Brecht-Werks. Sein Ansporn zu radikalen Mitteln wird durch den Freitod von Freundin Amina freilich zusätzlich befeuert. Die Medizinstudentin hat dem Druck nicht mehr standhalten können und sich völlig verzweifelt aus dem Fenster gestürzt. "Kein Einzelfall", weiß die Expertin und Autorin Sarah Adler (Mercedes Echerer). Sie berät die Ermittler, sympathisiert jedoch mit dem Täter.

Cops in Bestform

"Schock" ist ein spannender, sehenswerter Film mit einem glänzenden Stab, der vornehmlich an nur zwei prägnanten Schauplätzen (Fabrikhalle, Besprechungszimmer der "Soko") spielt. Er veranschaulicht, ohne übertreiben zu wollen, mit welchen kolossalen Schwierigkeiten eine ganze Generation zu kämpfen hat und was passieren kann, wenn jemand aus diesem System ausbrechen und es radikal verändern will.

Vor dieser Kulisse spielt sich fast ein wenig unbemerkt noch ein zweiter Konflikt ab. Die emotionale Entfremdung zwischen Eisner und seiner Tochter schreitet weiter voran. Alt versteht Jung nicht und umgekehrt. Auch deshalb, weil Claudia und ihr Freund das Gedankengut des rebellierenden Studenten grundsätzlich gutheißen. Harmonie pur derweil zwischen Bibi und Moritz. Das unschlagbare Team besticht in seinem 15. Fall auf ganzer Linie. Mit dem nötigen Ernst, wenn es die Umstände erfordern und mit dem Quäntchen Witz, wenn es die Situation erlaubt.

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