Wo ist zuhause, Mama?

15.1.2019, 10:30 Uhr
Wo ist zuhause, Mama?

© Foto: Christian Wagner

Heimat – mit H wie Hinterwäldlertum? Das ist lange vorbei; der Begriff hat sich emanzipiert und wird nicht mehr reflexhaft mit Assoziationen wie Nationalismus in Verbindung gebracht. Unter den Generalverdacht, man bekäme dabei nur geschönte Idyllen und unschöne Ideologien serviert, ist das Wort nicht mehr zu stellen. Auch angesichts der Flüchtlingsbewegungen hat der Begriff an Bedeutung gewonnen, den man nicht rechten und fremdenfeindlichen Sektierern überlassen will.

Die verschiedenen Facetten von "Heimat" zu vermitteln – dem fühlt sich das vom Bezirk Mittelfranken, dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege und dem Nürnberger Filmhaus ausgerichtete Festival verpflichtet. Das Programm reicht in diesem Jahr von Charlie Chaplins Stummfilm "Der Pilger" von 1920 bis zur "Transit" von Christian Petzold, der erst 2018 in die Kinos kam.

Träume und Sehnsüchte

Man mag beim diesjährigen Motto "Unterwegs" stutzen. Ist Unterwegssein nicht das genaue Gegenteil von Heimat? Einerseits: ja. Andererseits erfährt man die Bedeutung von Heimat mitunter erst aus der räumlichen und zeitlichen Distanz. Oder man lässt den Begriff in der Ferne leichter an sich heran. Vermisst plötzlich etwas. Erkennt im Rückblick, wo man herkommt und was einen geprägt hat, mag es einem nun gefallen oder nicht. Romantisch glotzen muss beim Begriff Heimat niemand mehr.

Station macht die diesjährige Ausgabe des Festivals etwa in den 1950er Jahren, zeigt mit dem österreichischen Film "Einmal noch die Heimat seh’n" (1958) ein typisches Beispiel für den klassischen, später oft kritisch hinterfragten Heimatfilm. Historisch aufschlussreich sind solche Filme, weil sie jenseits von Bergpanoramen und Liebesromanzen die damaligen Werte der Gesellschaft sichtbar machen.

Ein Beispiel für den ideologischen Missbrauch des Begriffs Heimat und eine Lektion in Sachen NS-Propaganda ist der Film "Der Marsch zum Führer" von 1940. Aus den locker durch die deutschen Landschaften wandernden Hitlerjugendgruppen sind bei der Ankunft beim Reichsparteitag in Nürnberg perfekt auf Gleichschritt gedrillte, paramilitärische Einheiten geworden.

Dass die Träume und Sehnsüchte von DDR-Twens sich nicht wesentlich von denen ihrer Brüder und Schwestern im Westen unterschieden haben, führt der Film "Und nächstes Jahr am Balaton" vor, 1980 von Herrmann Zschoche gedreht. Der elterlichen Überwachung entkommen, trampend unterwegs sein und Sex haben – das stand auch im Osten ganz oben auf der Hitliste der Ferienvergnügen. Sehenswert ist der Film schon allein als Zeitreise in die vorerst letzten Tage von Schlaghosen und Nickelbrille.

Ein ganzes Leben abschreiten

Unter dem Eindruck der "Heimat"-Serie von Edgar Reitz wurde auch Christian Wagners Film "Wallers letzter Gang" 1989 ein Erfolg an den Kinokassen; es ist die Geschichte eines Streckengehers im Allgäu, der noch ein letztes Mal seine Bahnlinie und dabei in Rückblenden sein ganzes Leben abschreitet. Noch vor dem großen Wander-Boom war das auch eine schöne Wiederentdeckung der Langsamkeit.

Im Kino heißt ein oft plan- und zielloses Unterwegssein Roadmovie. Als Regisseur, der diese Kunst der Bewegung meisterhaft beherrscht, erwies sich Wim Wenders mit seinem 1976 entstandenen Film "Im Lauf der Zeit". Im umgebauten Möbelwagen oder mit Motorrad durch die fränkische Provinz, ein Hauch von "Easy Rider" im deutsch-deutschen Grenzland – das hat Wenders in schwarz-weiße Bilder gefasst, die sich zu einem melancholischen Blick auf das Leben zusammensetzen und zu einer Reflexion über das langsame Verschwinden der kleinen Kinosäle auf dem Land.

Mit dem Drama "Die Piroge" von 2012 greift das Festival nicht zuletzt das immer noch hochaktuelle Thema der Bootsflüchtlinge auf, hier psychologisch dicht erzählt am Beispiel einer Überfahrt vom Senegal zu den Kanaren.

Unterwegs sind zum Festival auch zahlreiche Gäste. Zu jedem Film gibt es eine Einführung. Ein Höhepunkt dürfte das Gespräch zwischen Regisseur Christian Petzold und der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen werden (18. Januar). Zwischen dem Vertrauten und dem Fremden gibt es viel, was sich Heimat nennt – und damit nach wie vor viel Redebedarf.

Eröffnung 17.1., 19 Uhr, Programm unter www.bezirk-mittelfranken.de; Kartenreservierung unter 09 11/231 73 40

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