Wohlbehütet und depressiv

8.5.2016, 19:15 Uhr
Wohlbehütet und depressiv

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Ronja von Rönne ist das, was Menschen über 30 ein Internet-Phänomen nennen und sich damit gnadenlos als Menschen über 30 outen. Gerade mal 24 Jahre alt ist die in Oberbayern aufgewachsene Autorin. Ihr Blog Sudelheft, den sie seit dem Jahr 2012 mit allerlei sehr amüsant zu Lesendem befüllt, machte sie bekannt. Mittlerweile ist sie Feuilleton-Redakteurin für die Welt, hat dort ihren Text „Warum mich der Feminismus anekelt“ veröffentlicht und dafür, es wundert kaum, natürlich ordentlich Gegenwind bekommen.

Ein Tagebuch

Als sie für den Beitrag kürzlich den Axel-Springer-Preis erhalten sollte, lehnte Ronja von Rönne dankend ab: Sie distanziere sich von Teilen des Artikels, überhaupt sei manches sehr missverständlich und für derart Missverständliches könne man keinen Preis annehmen.

Soweit zur Autorin, die bekannt hat, vor Veröffentlichung ihres ersten Romans genau davor Angst gehabt zu haben: Dass es immer nur um ihre Person gehe und nicht ums Buch. Wenden wir uns also „Wir kommen“ zu und beginnen mit der Form. Wir haben es mit einem Tagebuch zu tun. Ich-Erzählerin Nora schreibt es auf Geheiß ihres Therapeuten, bei dem sie wegen schlimmer nächtlicher Panik-Attacken in Behandlung ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass Noras Jugendfreundin Maja tot ist — ein Früchtchen, wie der Leser in Rückblenden erfährt, und der Gegenentwurf zur passiven Nora. Die übrigens in einer Vierer-Beziehung mit Karl, Leonie und Jonas lebt. Das funktioniert natürlich eigentlich überhaupt nicht, und um sich damit nicht auseinandersetzen zu müssen, fährt das Quartett – erweitert um die kleine schweigsame Emma-Lou, Leonies Tochter, und die freilich ebenso wortkarge Schildkröte „390 Gramm“ — zum Urlaub ins Strandhaus.

Keine Probleme?

Doch den Krieg in uns selbst, den nehmen wir immer mit. Und so ergeht es auch Nora und ihren Freunden, deren größtes Problem allerdings ist, dass sie keine Probleme haben, aber trotzdem scheiße drauf sind. „Wir müssen keinen Grund für unsere Traurigkeit haben, sie ist uns bleiern in die DNA gegossen“, sagt Jonas. „Wir“, das ist die „wohlbehütetste und depressivste von allen Generationen“. Alle kreisen um sich selbst, alle haben die Diagnose beziehungsunfähig, allen ist den lieben langen Tag furchtbar langweilig, alles ist Metapher, alles ist Meta-Ebene. Man möchte ihnen, pardon, manchmal einfach eine scheuern, auf dass sie aufwachen.

Ist „Wir kommen“ also ein Generationen-Porträt und ein ziemlich pessimistisches noch dazu? Sicher nicht. Liest man es als solches, wird einem himmelangst. Besser also, man nimmt das Buch als eine Stimme unter vielen, die es aber allemal wert ist, gehört zu werden.

Aphorismen in Reihe

Denn genau das ist ja die Krux, wenn man in einer Gesellschaft wie der unsrigen aufwächst und der Mittel- oder Oberschicht angehört: Man ist einer unter vielen, dem alle Möglichkeiten dieser Welt offenstehen, jeder ist unendlich frei und mega-individuell. Segen und Fluch liegen da nah beinander.

Ronja von Rönne ist eine gnadenlos gute, brutal entlarvende Beobachterin, die urkomisch schreiben kann und einen Aphorismus an den nächsten reiht. „Unglück ist etwas für Leute mit Talent, die darüber Bücher schreiben können, von denen sich Leute ohne Talent, wie ich, verstanden fühlen“, zum Beispiel. In dem Roman finden sich außerdem so herrlich lakonische Sätze wie „Ich wusste bei Leonie nie, ob sie darüber nachdachte, sich die Wimpern zu tuschen oder sich das Leben zu nehmen.“

Die Autorin spielt neckisch mit der Sprache, deutet aber auch immer wieder an, dass man heute an der Beschreibung der Welt mittels Sprache nur Scheitern kann. Alles schon gesagt, alles schon formuliert, alles abgedroschen. Da ist es nur konsequent, den Text so enden zu lassen, wie er endet — das wird aber an dieser Stelle nicht verraten.

Ronja von Rönne: Wir kommen. Aufbau Verlag, Berlin, 208 Seiten, 18,95 Euro

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