Zum 80. Geburtstag des Publizisten Hermann Glaser

27.8.2008, 00:00 Uhr
Zum 80. Geburtstag des Publizisten Hermann Glaser

© Michael Matejka

Hinterm Zaun fast ein Paradies. Hier ist Hermann Glaser seit über fünfzig Jahren zuhause. Nürnberg war damals noch eine kriegsversehrte Stadt. Der kleine Ort im Grünen erschien dem jungen Ehepaar als bessere Alternative. Der Grund und Boden war billig, die Eisenbahnverbindung nach Nürnberg günstig. Noch immer leben Hermann Glaser und seine Frau gerne auf dem Land. Seit fast 60 Jahren sind die beiden miteinander verheiratet, in der Tanzstunde haben sie sich einst kennengelernt. 

Startbahn für geistige Höhenflüge

Für einen wie Hermann Glaser bietet selbst ein Ort wie Roßtal eine Startbahn für geistige Höhenflüge. Der Geist weht, wo er will. Hier - im Arbeitszimmer unterm Dach -  ist ein großer Teil seiner zahllosen Bücher und Aufsätze entstanden, hier ist das riesige Archiv mit den berühmten Zettelkästen untergebracht. Die beeindruckende Bibliothek wächst und wächst und wächst. Glaser lacht, wie nur Sammler und Archivare lachen können:  «Meine Frau stöhnt seit Jahren: ,Was? Schon wieder Bücher!’«

Der Vielleser und -schreiber hat am gleichen Tag Geburtstag wie Goethe. Ein schöner Zufall. Aber anders als Goethes «Faust«, der den Sinn des Lebens in den Büchern sucht, ist Glaser ein Agnostiker: «Wir wissen nichts und wir werden nie etwas wissen«, lautet sein nüchterner Grundsatz.

Erstaunliches Arbeitspensum selbst mit 80

Noch immer erfüllt er ein erstaunliches Arbeitspensum, hält Vorträge und Vorlesungen, schreibt Bücher und Zeitungsartikel. Wie er das schafft? «Durch Disziplin und einen strikten Zeitplan. Arbeit ist die beste Medizin, aber auch ein Tranquilizer«, sagt Glaser. Zur Geistestätigkeit ist in den letzten Jahren immer mehr Gartenarbeit dazugekommen, auch Einkaufen geht der Kopfarbeiter, seitdem es seiner Frau gesundheitlich nicht mehr so gut geht.

 Glaser bezeichnet sich selbst als pessimistischen Optimisten oder auch als optimistischen Pessimisten, je nachdem. Trotz aller Zweifel nicht Verzweifeln, das ist oft leichter gesagt als getan. Auf das «dennoch« kommt es ihm an. Obwohl es mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird, Zukunftspläne zu entwickeln. Der Kopf ist hellwach, aber der Körper wird müde. Und der Rücken tut weh. Macht ihm das Alter Angst? «Natürlich. Man fährt in einen Tunnel hinein und weiß nicht, ob man wieder herauskommt. Es ist wie bei den ICE-Strecken. Auf Tunnelstrecken wird es dunkel, dann wieder hell, aber wie oft noch? Das Leben währet 70 oder 80 oder 90 Jahr, wie es in der Bibel heißt. Die Endlichkeit bedrückt mich sehr. Ich war schon immer ein sehr ängstlicher Mensch, was Krankheiten betrifft.« Viele seiner alten Freunde sind jetzt krank oder schon gestorben.

Unersättliche Neugier

«Mit dem Alter wird natürlich der Aktionsradius kleiner. Wir sind früher gern gewandert und Rad gefahren. Das mussten wir alles aufgeben. Aber man kann nicht dauernd jammern. Alterslarmoyanz kann man bewältigen. Wenn meine Enkel zum Skifahren gehen, fahre ich im Geiste mit und kompensiere damit meine Sehnsucht. Ich fahre im Traum übrigens immer noch besser Ski, als ich je gefahren bin.«

Eine unersättliche Neugier und ein unerschütterlicher Glaube an den humanitären Fortschritt hat den Intellektuellen davor bewahrt, zum Zyniker zu werden. Der Kontakt mit jungen Leuten hält ihn jung. Glaser kann sich immer noch für Neues begeistern, sich aber auch über einen guten Rotwein oder ein deftiges Essen freuen. «Man muss das ganze Elend auf dieser Welt natürlich von Zeit zu Zeit verdrängen, das ist die Kunst«, sagt er und fügt lachend gleich ein Eigenzitat an: «Er konnte die ganze Zeit an den Tod denken und dabei einen fetten Karpfen essen.«

Kulturbegriff auf den Kopf gestellt

Das ist das Stichwort für den Gastgeber und seine Frau, eine fränkische Vesperplatte und eine Flasche Wein auf den Tisch zu stellen - «da redet sich’s doch besser!« Worauf er besonders stolz ist? «Dass ich einen Kulturbegriff vom Kopf auf die Füße gestellt habe mit Hilfe engagierter Mitarbeiter, darauf bin ich stolz. Ich war der Dirigent in diesem Konzert. Es war ein Glück, dass wir in Nürnberg einen Kulturbegriff umsetzen konnten, der das Leben viel stärker mit einbezieht.«

Und was ist das Schönste im Leben des Kulturvermittlers? «Eine glückliche Familie, die Kinder und meine glückliche Ehe waren der Wurzelgrund für die anderen Freuden des Lebens«, sagt er ohne zu zögern und ergänzt: «Meine Generation hatte das ungeheure Glück nach 1945 nicht nur friedlich, sondern auch frei aufwachsen zu können. Welche Generation hat das schon?«

Anstrengend, das Glück zu verteidigen

Glaser weiß natürlich, dass es Anstrengung kostet dieses Glück zu verteidigen und holt aus: «Meine Frau und ich kommen aus ganz einfachen Verhältnissen. Das hat auch meine tiefe Verbundenheit mit dem Sozialdemokratischen bewirkt. Ich meine das nicht parteipolitisch. Dass die Schere auch hierzulande größer wird, entsetzt und erzürnt mich. Es besteht ja keine Notwendigkeit dafür, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Es ist ein Skandal, dass man Hartz-IV-Empfänger mit dem Namen eines Wirtschaftsgauners bedenkt. Die Sprache zeigt, wie verwahrlost das Denken ist. Insofern kann Kultur keine Nische sein, in der man genießt, sondern muss verbunden sein mit dem Engagement für eine machbar bessere Welt.«

 Der Fortschritt mag eine Schnecke sein, aufzuhalten ist er nicht. Eine tröstliche Erkenntnis, wie Glaser glaubt: «Die Lebenserfahrung bestätigt den Spruch: ,Das weiche Wasser besiegt den Stein, das Harte unterliegt.’«

 Das Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus veranstaltet zum 80. Geburtstag von Hermann Glaser am 6. Sept., 10 Uhr, die Matinee «Das Jahrhundert der Intellektuellen« (Info-Tel.: 0911/23460).