Kunst oder Brauchtum?

3.12.2015, 20:58 Uhr
Sind freie Trauerredner Künstler? Ernst Cran liefert viele Argumente dafür. Nun muss der Bundesfinanzhof entscheiden.

© Archivfoto: Günter Distler Sind freie Trauerredner Künstler? Ernst Cran liefert viele Argumente dafür. Nun muss der Bundesfinanzhof entscheiden.

Steuerstreitigkeiten sind staubtrockene Angelegenheiten? Von wegen: Sichtlich unter Spannung treten Ernst Crans Rechtsanwalt Rene Neubert und ein Vertreter des Finanzamts Nürnberg-Nord ans Rednerpult in den schlossähnlichen Räumen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Münchner Stadtteil Bogenhausen. Sie tragen den fünf Richtern des 5. Senats mit lauter Stimme ihre Argumente vor und streiten leidenschaftlich für ihre Einschätzung des Falls. Die Herren in den roten Roben hören aufmerksam zu. Anschließend stellen sie unzählige Fragen und haken ganz genau nach.

In dem Revisionsverfahren geht es darum, ob Ernst Cran für die Jahre 2006 bis 2010 den ermäßigten Satz von sieben Prozent Mehrwertsteuer oder den Regelsatz von 19 Prozent auf seinen Rechnungen ansetzen durfte. Seit 2010 müssen alle freien Trauerredner sowieso den vollen Satz abrechnen. Das entschied der BFH vor fünf Jahren.

Das Finanzamt Nürnberg-Nord ist der Auffassung, Ernst Cran hätte auch damals schon 19 Prozent ansetzen müssen und verlangte eine Nachzahlung im Wert eines Mittelklassewagens. Das Nürnberger Finanzgericht bestätigte die Behörde.

Das Finanzamt argumentiert, dass das Umsatzsteuergesetz nur wenige Ausnahmen vom Regelsatz auflistet, etwa Theaterdarbietungen und Konzerte. Hochzeitsfeiern und Trauer-reden seien keine der Allgemeinheit zugänglichen künstlerischen Darbietungen dieser Art. Vielmehr handle es sich um Brauchtum. Die künstlerische Leistung und Gestaltungshöhe würde auch fehlen, weil mit Redeschablonen gearbeitet werde, so der Finanzamtsvertreter. Das Urteil des Nürnberger Finanzgerichts sei deshalb korrekt und die Revision müsse abgewiesen werden.

Der studierte Theologe, der 2003 der evangelischen Landeskirche den Rücken kehrte und seitdem als freier Redner für Trauer-, Geburtstags- und Hochzeitsfeiern tätig ist, sieht das ganz anders: Er sei ein Auftragskünstler, der ähnlich einem Porträtmaler oder Bildhauer Veranstaltungen für seine Kunden künstlerisch ausgestalte. Mit Schablonen arbeite er ganz sicher nicht, stellt der 59-jährige Nürnberger in der Gerichtsverhandlung energisch klar. „Ich gehe mit einem leeren Blatt zu meinen Auftraggebern“, so Cran. Im Gespräch fülle sich dieses Blatt. „Ich bin wie ein Bartenwal, der durch den Ozean pflügt und alles aufnimmt“, beschreibt er. Die Zeremonie, die er letztendlich gestalte, sei Ergebnis eines künstlerischen Prozesses. In diesen fließe die Begegnung mit seinen Kunden, aber auch seine Person und sein Können ein.

Auch dass seine Arbeit mit der eines Pfarrers verglichen wird, kann Ernst Cran nicht akzeptieren: Ein Pfarrer müsse sich bei seinen Trauerreden an Leitlinien halten. Er selbst sei nicht daran gebunden. Gut ein Drittel seiner Kunden seien Kirchenmitglieder, die aber bewusst nicht die standardisierte Form einer konfessionellen Trauerfeier wählen, sondern eine individuelle Zeremonie wünschen. „Ich habe die volle gestalterische Freiheit“, sagt er.

Bunte Kleidung und Champagner

Unter anderem baut der 59-Jährige auf Wunsch auch ungewöhnliche Rituale in seine Zeremonien ein. Diese sollen den Trauernden das Abschiednehmen erleichtern und dem Wesen des Verstorbenen gerecht werden. Mal möchten die Hinterbliebenen die Hand auf den Sarg legen und bewusst loslassen, mal möchten sie eine persönliche Botschaft mit ins Grab geben oder auf die Urne schreiben. Und manchmal haben auch die Verstorbenen zu Lebzeiten verfügt, wie ihr letzter Auftritt aussehen soll: mit Rockmusik und bunter Kleidung oder einem Champagner-Empfang vor der Trauerhalle zum Beispiel.

Wer hat nun Recht? Der BFH überprüft nun das Urteil aus Nürnberg. Stellen die Richter des 5. Senats Rechtsfehler fest, wird es aufgehoben und der Fall Cran zur erneuten Verhandlung zurück ans Finanzgericht verwiesen. Dann wird der Prozess im nächsten Jahr neu aufgerollt.

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