"Masterplan Migration": Seehofer bettelt um Entlassung

10.7.2018, 11:48 Uhr
Der CSU-Chef zeigt sich unbelehrbar. Er verhält sich wie ein Pubertärer in seiner schlimmsten Trotzphase.

© AXEL SCHMIDT/AFP Der CSU-Chef zeigt sich unbelehrbar. Er verhält sich wie ein Pubertärer in seiner schlimmsten Trotzphase.

Wer wissen will, was in der CSU derzeit los ist, sollte nicht auf Parteichef Horst Seehofer hören. Der tut gerade so, als sei alles in bester Ordnung, als habe da gar kein Streit getobt, in dem Vertreter der beiden Schwesterparteien in einer Weise aufeinander losgegangen sind, wie es das seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Doch wie die Stimmungslage wirklich ist, das lässt sich viel eher an einem Vorfall ablesen, der nicht so große Schlagzeilen verursacht hat, der dennoch höchst bemerkenswert ist. In Unterfranken ist der langjährige frühere Landrat im Kreis Schweinfurt, Harald Leitherer, aus der CSU ausgetreten – nach 49 Jahren! Er will den Kurs seiner Parteiführung gegen Kanzlerin Merkel, gegen Europa und die Flüchtlinge einfach nicht mehr mittragen.

Seine Begründung: Er konnte nicht mehr verstehen, wie man wegen der Flüchtlingsfrage, die nach seiner Überzeugung "im Vergleich zu 2015 heute eher nachgeordnet ist", derart mit anderen Menschen umspringt, die anderer Meinung sind. Der Diskurs seiner Parteiführung sei zuletzt nur noch auf Beschädigung ausgerichtet gewesen. Um die wirklich großen Themen wie Fachkräfte- und Pflegemangel kümmere sich niemand, klagte Leitherer.

Diese Abschweifung ist nötig, um einordnen zu können, was Seehofer jetzt vorgelegt hat. Der CSU-Chef zeigt sich unbelehrbar. Er verhält sich wie ein Pubertärer in seiner schlimmsten Trotzphase. Und er bettelt um seine Entlassung.

Die Aussage, auch der überarbeitete Masterplan sei in seiner alleinigen Verantwortung geschrieben worden, ist ein Affront, den die Kanzlerin eigentlich nicht hinnehmen kann. Dass die mühsame Einigung innerhalb der Koalition, auch mit der vollends düpierten SPD, an keiner Stelle in dem neuen Masterplan aufgeführt wird, lässt einen nur noch den Kopf schütteln. Die Probleme, um die es in der Flüchtlingsfrage wirklich geht, finden sich in diesem Papier nicht. Auch nicht die Hürden, die sich bei der Integration derer auftürmen, die nicht zurückgeschickt werden können.

Leerstelle im Konzept

Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Das einzig Positive an der beschämenden Debatte der vergangenen Wochen war dies: Die SPD konnte am Ende durchsetzen, dass es nun endlich ein Einwanderungsgesetz geben soll, das den Namen verdient und das uns so dringend fehlt. Dieses Gesetz hätte schon Anfang der 90er Jahre verabschiedet werden sollen, nachdem so viele Kriegsflüchtlinge vom Balkan nach Deutschland kamen. Es war die CSU, die das letztlich verhindert hat und die später nur eine arg verwässerte Kopie davon akzeptierte. Doch das, was die SPD in den Krisenrunden der Koalition durchdrückte, steht auch jetzt nicht in Seehofers Masterplan. Ihm geht es weiter nur um Abschottung. Sogar das umstrittene Wort Transitzentren hat Seehofer wieder aufgenommen.

Rückkehroptionen verbessern

Zugegeben, es sind in Deutschland viele Flüchtlinge angekommen, die keine Chance haben werden, den Asylstatus zu erlangen. Viele würden auch, wenn sie einen positiven Bescheid bekämen, nicht hier Fuß fassen und eine Existenz aufbauen können. Würde man ihnen einen Weg aufzeigen, wie sie wieder in ihre Heimat ausreisen und dort ein neues Leben anfangen können, könnte das für alle Beteiligten ein Gewinn sein. Doch die Rückkehrhilfen, die bisher gewährt werden, sind dazu viel zu dürftig. Viele der zwangsweise Abgeschobenen würden zu Haus ausgestoßen werden und die nächste Gelegenheit nutzen, wieder zu fliehen. Es bliebe ihnen kaum etwas anderes übrig.

Warum sollte man also nicht versuchen, ihnen einen Neustart in der Heimat zu ermöglichen? Es wäre nachhaltiger, es wäre sogar billiger, als abgelehnte Flüchtlinge unter starkem Polizeischutz in ein Flugzeug zu setzen. Doch dazu findet sich nichts, aber auch gar nichts in Seehofers Masterplan. Das Argument übrigens, damit würden neue Anreize zur Flucht geschaffen, ist abwegig. Auch deutlich höhere Rückkehrhilfen lägen weit unter den Beträgen, die Menschen aus afrikanischen Krisenregionen an Schlepper zahlen müssen.

Natürlich gibt es Flüchtlinge, die das System ausnützen. Es gibt welche, die sich nicht um Integration bemühen und zufrieden sind mit den Zahlungen, die sie ohne Gegenleistung bekommen. Manche belächeln gar andere, die wirklich versuchen, die Sprache zu lernen und sich mit irgendwelchen Hilfsjobs über Wasser zu halten, obwohl sie eigentlich über viel höhere berufliche Qualifikationen verfügen. Hier setzt unser System völlig falsche Anreize. Das ist unser Versagen. Diejenigen, die das in Anspruch nehmen, verhalten sich nur systemkonform. Auch dazu: Fehlanzeige bei Seehofers Rezeptur.

Nicht mehr viel Zeit

Die Liste ließe sich verlängern. Unter dem Strich belegt es nur, wie ideologisch verbohrt und wie überfordert der Innenminister ist und wie panisch seine Partei auf den Termin der bayerischen Landtagswahl schaut. Die Umfragen übrigens zeigen, dass die Rechnung nicht aufgeht. Die CSU verliert weiter an Zustimmung, die AfD gewinnt. Genug Gründe, um diesen verheerenden Kurs zu ändern und zu dem Pragmatismus zurückzukehren, für den die CSU auch einmal stand. Viel Zeit bleibt aber nicht mehr.

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