Medien in Ungarn an der kurzen Leine

17.12.2010, 08:00 Uhr
Medien werden in Ungarn durch eine neue Organisation beeinträchtigt.

Medien werden in Ungarn durch eine neue Organisation beeinträchtigt.

Die Aktion war beeindruckend: Vor kurzem erschienen mehrere ungarische Zeitungen und Wochenblätter mit einem leeren, weißen Titelblatt. Die Redaktionen wollten damit gegen das neues Mediengesetz protestieren, das am kommenden Montag vom Parlament gebilligt werden wird. Ihrer Ansicht nach wird es die Medienlandschaft der Macht der neuen Aufsichtsbehörde NMHH ausliefern.

Big Brother is watching

Tatsächlich reichen die Befugnisse dieser regierungsnahen Institution sehr weit. Während die Medienaufsicht in den anderen EU- Ländern nur Fernsehen und Radio reguliert und überwacht, wird sich ihre Kompetenz in Ungarn auch auf die privaten Print- und Online-Medien erstrecken.

Die Behörde kann hohe Geldstrafen verhängen – bei Tageszeitungen und Internet-Portalen bis zu 90 000 Euro. Damit könnte sie unbotmäßige Medienunternehmen in den Ruin treiben. Die möglichen strafbaren Vergehen werden aus den eher vagen Forderungen des Mediengesetzes nach „Ausgewogenheit“ und Erfüllung von „Informationspflichten“ abzuleiten sein. Gerade hier sehen Kritiker viel Spielraum für mögliche Amtswillkür.

Politisch einseitig besetzt

Auch die politisch einseitige Zusammensetzung der Behörde fördert nicht gerade das Vertrauen seitens der Redaktionen und Journalisten. Annamaria Szalai, die Präsidentin der NMHH, wurde vom rechts- konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban für neun Jahre ernannt. Sie gilt als treue Gefolgsfrau der Regierungspartei FIDESZ (Bund Junger Demokraten). Der beigeordnete Medienrat besteht ausschließlich aus FIDESZ-Delegierten.

In der ehemaligen Medienaufsichtsbehörde ORTT, die durch das NMHH ersetzt wurde, waren die Gremien paritätisch besetzt.

Harte Strafen für Private

Während die privaten Medien durch die Aussicht auf harte Strafen an die Kandare genommen werden können, unterwirft die seit Mai amtierende Regierung Orban den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einer radikalen Zentralisierung. Vom Ungarischen Fernsehen (MTV), dem Auslandssender Duna TV und dem Ungarischen Radio (MR) bleiben praktisch nur mehr noch die Namen übrig.

Die gesamte Programmgestaltung wandert – zusammen mit Immobilien, Produktionsstätten, Archiven und Mitarbeitern – zum neuen Programm- Fonds MTVA.

Vieles in öffentlicher Hand

Sämtliche Nachrichten- und Magazinprogramme dieser Rundfunkanstalten werden wiederum von der Nachrichtenagentur MTI produziert, die in Ungarn gleichfalls einen öffentlich-rechtlichen Status hat. Die Spitzenpositionen bei diesen Medienanstalten sind inzwischen fast ausschließlich mit partei-loyalen Funktionären und Journalisten besetzt worden, die von Sendern aus dem Medienimperium der Regierungspartei geholt wurden.

Indessen kritisieren nicht nur liberale und unabhängige Stimmen in Ungarn das kommende Mediengesetz. Auch internationale Organisationen und Interessenverbände erheben ihre Stimme. Die Medienbeauftragte der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), Dunja Mijatovic, sprach von einer Gesetzeslage „wie sonst nur unter autoritären Regimen“.

Der Europäische Zeitungsverlegerverband und das Internationale Presse-Institut IPI äußerten ihre Besorgnis darüber, dass in Ungarn die Pressefreiheit auf dem Spiel stehen könnte. Die Menschenrechtsorganisation Freedom House äußerte ähnliche Einwände.

Pressefreiheit „kein Selbstzweck“

An der ungarischen Regierung, die ab 1. Januar eine glanzvolle EU- Präsidentschaft zelebrieren möchte, scheint aber derlei Bedenkenträgerei abzuprallen. Das Mediengesetz setze unter anderen wichtige EU-Vorgaben in Hinblick auf Jugendschutz, Kartellrecht und Digitalisierung um, heißt es. „Es enthält kein Element, dass es nicht im Mediensystem in irgendeinem europäischen Land gäbe“, erklärte Ministerpräsident Orban zu Wochenbeginn bei einem Besuch in Wien.

Die Frage ist, welche europäischen Länder Orban meinte. Denn „in der EU gibt es keine Medienbehörde, die den Inhalt von Print- und Online-Medien zu regulieren vermag, so wie es der ungarische Gesetzesentwurf vorsieht“, erklärte die Expertin Nora Kovacs aus dem Büro der OSZE-Medienbeauftragten am Mittwoch in Wien. Doch auch die offenherzigen Aussagen seiner obersten Medienbeamten rücken die beschwichtigenden Worte des Regierungschefs in ein ganz anderes Licht.

Die Pressefreiheit, meinte neulich die NMHH-Präsidentin Szalai, sei „kein Selbstweck“, sondern müsse „den Interessen der Gemeinschaft, der Integrierung der Gesellschaft dienen“.