Nürnberger Graffiti-Szene: So bunt ist Gostenhof

20.7.2018, 05:58 Uhr
Nürnberger Graffiti-Szene: So bunt ist Gostenhof

© Sebastian Müller

Die Sonne lacht, als Carlos Lorente von der "Nürnberger Graffiti Akademie" gegen 18 Uhr in der Hessestraße die Teilnehmer der Tour begrüßt und vor dem backsteinroten Ökozentrum in das Thema einführt. Und der Künstler kommt schnell auf den Punkt: "Es muss nicht jedem alles gefallen", findet Lorente, der für die Stadt Nürnberg regelmäßig Workshops anbietet oder Auftragsarbeiten übernimmt. Letztlich ist es eine Frage der Toleranz, wie man mit Graffiti umgeht.

Die Tour startet an der Hessestraße an einer der wenigen geduldeten Freiflächen für Sprayer – also für Künstler, die im öffentlichen Raum mit Hilfe von Sprühdosen ihre farbige Kunst auf Wänden verewigen möchten. "Aktuell gibt es keine Freifläche in Nürnberg, wo man legal sprühen darf. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen", betont Carlos Lorente.

Umdenken bei der Stadt

In der Hinsicht gebe es bei der Stadt Nürnberg aber derzeit ein Umdenken, erklärt SPD-Stadträtin Eva Bär. Sie und ihre Kollegin Yasemin Yilmaz, die beide der Gostenhofer SPD angehören, möchten beim Thema Street-Art den Dialog mit den Bürgern verstärken und ihnen das Thema näherbringen. Deshalb hat der Ortsverein die Rundfahrt organisiert. Zudem sei bereits ein runder Tisch installiert worden, bei dem man gemeinsam mit Polizei, Stadtverwaltung und Sprayer-Szene Lösungen finden will.

Positiv bewertet diese Entwicklung auch Hans-Joachim Wagner, Leiter des Kulturhauptstadt-Bewerbungsbüros Nue2025, der sich über den "partizipativen Prozess" beim Thema Street-Art freut. Und deshalb ist er auch aufmerksam mit unterwegs. An der "geduldeten" Wand am Haus der Heilsarmee in der Hessestraße verteilt Carlos Lorente ein Glossar mit Fachbegriffen aus der Szene. "Buffen" bedeutet abputzen — das Entfernen von Graffiti. Mit "Crossen" ist das mutwillige Zerstören eines anderen Graffiti gemeint. Und unter "Wildstyle" versteht man komplexe Schriftzüge.

"Hingekotzte Bilder" und "Schablonen-Kunst"

In Nürnberg gibt es laut Lorente drei Hauptkategorien von Street-Art: Die eine, besonders in Gostenhof, sei politisch motiviert und häufig gegen die von vielen Einwohnern befürchtete Gentrifizierung mit steigenden Mieten gerichtet. Die zweite nennt er "Schablonen-Kunst", wo der Künstler auf eine Schablone sprüht, die dritte Art ist das "Stylewriting", bei dem einzelne Buchstaben kreativ aneinandergereiht werden.

Nürnberger Graffiti-Szene: So bunt ist Gostenhof

© Sebastian Müller

Nach dem Spielplatz auf dem früheren Linde-Gelände an der Hessestraße geht es in die Spenglerstraße, wo auf ein Gebäude Farbbomben geworfen wurden und mit einer "Feuerlöscher-Technik" Farbe flächig auf das Gebäude gesprüht wurde. Dazu gesellen sich einige "Throw-ups" - "hingekotzte Bilder", bei denen es schnell gehen musste. Am Jamnitzerplatz deutet Carlos Lorente auf ein Gebäude an der Mittleren Kanalstraße, auf dem weit oben unter dem Dach ein Frosch an die Wand gemalt wurde. "Das gilt in der Szene als eine besondere Leistung, weil man dort schwer hinkommt."

Graffiti-Werke am Bahnsteig

Im Hof des Jugendhauses Gost zwischen Eberhardshofstraße und Fürther Straße erklärt der in der Szene bekannte Street-Art-Künstler Julian Vogel die dort in letzter Zeit entstandenen Werke. Ein großes Bild prangt am Rückgebäude des MuZ-Clubs, das futuristisch anmutet: Raumschiffe schweben dort, während ein Affe auf einen Rapper blickt.

Weiter geht es in einen Hinterhof, wo auf einem Bild Tänzerinnen, auf einem Motorrad stehend, auf einem Seil balancieren. Die Gruppe erfährt, dass 2016 das Bild zum Thema Musik entstanden ist. Es umfasst Buchstaben, Figuren, Muster und Kalligraphie, also "fast alles, was Street-Art bietet", wie Carlos Lorente zusammenfasst. Danach wandert die Gruppe durch den U-Bahnhof Gostenhof und betrachtet die Graffiti-Werke am Bahnsteig, die dort hochoffiziell angebracht wurden. Auf der anderen Seite der Fürther Straße wird beim Arbeitsgericht in der Roonstraße kurz über den dort gesprühten Schriftzug "Ich bin hier" in Weiß auf grauem Beton diskutiert.

Legale Straßenkunst am Westbad

Auf dem weiteren Weg in Richtung Westbad berichtet ein Jugendlicher, der aus einem Dorf im Nürnberger Landkreis stammt, dass er gerne zeichnet und farbenfrohe T-Shirts im Online-Shop shakk.de bestellt. An der Ecke Deutschherrn-/Roonstraße angelangt, gibt es einen Halt bei einem Altbau, wo der Hausbesitzer sogar einzelne Sandsteine ausgetauscht hat, weil ein Graffiti anders nicht zu entfernen war. Mit Bezug darauf greift Carlos Lorente kurz die rechtliche Seite auf. Klar ist: Nach Paragraf 303 Strafgesetzbuch fällt das illegale Besprühen unter Sachbeschädigung. Die Polizei hat eine eigene Abteilung, die sich nur um die Ermittlung von Sprayern im öffentlichen Raum kümmert. Und sie setzt dabei hin und wieder sogar einen Polizeihubschrauber ein.

Der bessere Weg ist da schon die legale Straßenkunst - wie beim Westbad, der letzten Station der Street-Art-Tour. Dort ist 2013, im Rahmen der Generalsanierung des Freibads
in der Wiesentalstraße, eine rund 100 Meter lange Gebäudefassade von 18 Street-Art-Künstlern aus ganz Europa zum Thema Wasser bemalt worden. Neben Haien und Meerjungfrauen findet man auch Piraten und jede Menge kreative Schriftzüge.

"Blockaden aufgebrochen"

"Es gab im Vorfeld viele Diskussionen mit den Anwohnern, aber als sie unsere Entwürfe sahen, war die Blockadehaltung schnell aufgebrochen", berichtet Carlos Lorente. Der Erfolg gibt den Künstlern recht: Seit über fünf Jahren prangen die Wasser-Motive am Westbad — und sie wurden in keiner Weise verändert oder von anderen Sprayern übermalt. Mit einer kurzen Demonstration der Sprühtechniken, bei der auch SPD-Stadträtin Eva Bär zur Dose greift, endet die spannende Street-Art-Tour durch Gostenhof und St. Johannis, bei der mit Mandy Schöne-Salter auch eine Street-Art-Künstlerin aus Australien dabei war, die derzeit in Ulm auf Familienbesuch weilt und extra für die Tour zu einem Kurztrip nach Nürnberg kam.

Der Street-Art-Dialog ist eröffnet und er soll auf alle Fälle weitergeführt werden. Sicher demnächst beim Brückenfestival am 10. und 11. August, bei dem es neben den Konzerten wieder Live-Painting geben wird. Zudem sind mehrere Graffiti-Projekte geplant: Street-Artist Julian Vogel will schon ab dem 9. August die Theodor-Heuss-Brücke bemalen; zudem werden ein Garagenhof der wbg und ein Toilettenhäuschen farbig aufgepeppt. Und wichtig: Diese Aktionen sind offiziell genehmigte Auftragsarbeiten.

ZInfos: Style Scouts Graffiti Akademie, Carlos Lorente, Internet: www.stylescouts.de.

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