„Ohne Eltern geht nichts“

11.8.2014, 06:00 Uhr
„Ohne Eltern geht nichts“

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Sie haben es ausgerechnet, Herr Seelig: 39 Jahre und 91 Tage waren Sie Lehrer. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag?

Jürgen Seelig: Aber ja. Das war an der Grundschule in Cadolzburg. Ich war dem Schuljugendberater beigeordnet, heute ist das der Beratungslehrer. Er musste darüber entscheiden, welche Kinder früher eingeschult werden konnten. Wir mussten bei den Kinder dazu Tests abnehmen. In einem Test kam eine Maus vor, da sagte ein Mädchen zu mir: ,Solche haben wir auch am Dradboden‘. Ich habe ihren Dialekt überhaupt nicht verstanden, den Getreideboden meinte sie.

Sie haben also an der Grundschule begonnen.

Seelig: Ich bin noch ein klassischer Volksschullehrer. Einsetzbar in den Klassen 1 bis 9. Die Differenzierung in der Ausbildung kam erst später.

Bei den Abc-Schützen wollten Sie nicht bleiben?

Seelig: Nein, ich mochte es lieber, wenn sich die Schüler an mir reiben können und ich mich an ihnen. Ich habe dann in den Klassen 5 bis 9 alle Fächer, ausgenommen Hauswirtschaft und Werken – heute Technik – unterrichtet.

Außer Cadolzburg waren Veitsbronn und Stein Stationen Ihres Lehrerlebens. 1980 kamen sie erstmals an den Neuwerker Weg. Damals war die Hauptschule noch Volksschule?

Seelig: Ja, und ich habe 15 Jahre nur die Klasse 5 und 6 unterrichtet. Damals hatten wir noch Klassenstärken von 32 bis 34 Kindern. Der Einbruch fing mit der sechsstufigen Realschule an, also etwa ab dem Jahr 2000. Aus der Volksschule wurde die Mittelschule von heute.

Plötzlich gingen der ursprünglichen Volksschule die Schüler aus?

Seelig: Plötzlich war das nicht. Es war ein schleichender Prozess. Als ich nach meiner Zeit als Konrektor in Veitsbronn 2005 Schulleiter in Stein wurde, habe ich die Schule mit 230 bis 240 Schülern übernommen, wir hatten zehn Klassen. Heute verlasse ich die Schule mit 90 Schülern und fünf Ganztagesklassen.

Ließen auch die Leistungen der Schüler immer mehr nach?

Seelig: Ja. Das fiel mir das erste Mal im Jahr 2000 in Veitsbronn auf. Ich merkte, wie schlecht unsere Schüler in Englisch waren. Und das, obwohl in Veitsbronn damals die Übertrittsquoten auf die Realschule noch gar nicht so hoch waren. Oder ein anderes Beispiel: Früher schafften 80 bis 90 Prozent unserer Schüler den Quali, also den qualifizierenden Hauptschulabschluss. Heuer haben wir in Stein einen Jahrgang, bei dem von 21 Schülern sieben den Quali bestanden haben.

Worauf führen Sie das zurück?

Seelig: Ich sehe eine große Verantwortung bei den Eltern. Sie sind oft so mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, dass sie ihre Söhne und Töchter kaum mehr unterstützen. Wir sehen das bei den schlechten Besuchen bei Elternabenden oder auch der mangelnden Unterstützung bei der Lehrstellensuche. Eltern sehen sich oft nur noch für die „Events“ im Leben zuständig, doch den grauen Alltag der Erziehung, den soll die Schule übernehmen. Das kann nicht funktionieren. Den Schülern mangelt es heute an Arbeitshaltung, Durchhaltewillen und Sorgfalt.

Hier sollte doch das Modell Ganztagsschule gegensteuern.

Seelig: In gewisser Weise tut es das auch. Wenigstens fünf Wochentage erleben unsere Jugendlichen so etwas wie einen geregelten Tagesablauf und hängen nicht nur vor Fernsehen und PC ab. Ich bin auch stolz darauf, dass wir das Ganztagsangebot als erste Schule im Landkreis Fürth hatten. Aber allein, ohne Unterstützung der Eltern, ist nichts zu machen und deren Ich-Bezogenheit ist heute sehr stark ausgeprägt.

Gehen Sie mit einer pessimistischen Sicht auf die Entwicklung der Mittelschule in den Ruhestand?

Seelig: Ganz und gar nicht. Das würde nicht zu mir passen, für mich ist das Glas immer halbvoll. Es wird unsere Schulart weiterhin geben, egal, wie sie auch heißen mag. Ich denke jedoch, wir werden uns mit Wirtschafts- und auch Realschulen in irgendeiner Form zusammenschließen müssen.

Was sind Ihre Pläne für die unendlichen Ferien?

Seelig: Frei über meine Zeit verfügen können zum Lesen, Tennisspielen, Garteln. Außerdem möchte ich in einem Konversationskurs mein Englisch aufpolieren und mich mehr ehrenamtlich in meiner Kirchengemeinde einbringen.

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