Ermittlungen zu angeblichen Suizid-Aufrufen dauern an

23.10.2016, 11:33 Uhr
Ermittlungen zu angeblichen Suizid-Aufrufen dauern an

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Nach dem tödlichen Sprung eines Flüchtlings aus dem fünften Stock eines Hauses im thüringischen Schmölln ermittelt die Polizei, ob ihn Anwohner zum Suizid ermuntert haben. Bislang gibt es dafür aber keine konkreten Beweise. Ein Polizeisprecher sagte am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur, eine Mitarbeiterin der Einrichtung habe bei ihrer Befragung erklärt, dass die Worte "Spring doch" so nicht gefallen seien. Sie habe gemeint, etwas Ähnliches gehört zu haben. Die Ermittler kennen bisher auch nicht den Passanten, der dies gerufen haben soll. "Wir gehen diesen Hinweisen aber nach", erklärte der Sprecher.

Äußerungen von Schmöllns Bürgermeisters Sven Schrade (SPD) deuten darauf hin, dass solche Worte gefallen sein könnten. "Uns liegen auch Informationen vor, dass einige, ich nenne sie mal Schaulustige, diesem Vorfall lange beigewohnt haben, und wohl auch Rufe gefallen sein sollen wie 'Spring doch'", sagte Schrade am Samstag dem MDR. "So etwas kann man nur verurteilen."

Der Geschäftsführer der Betreuungseinrichtung, David Hirsch, sagte ebenfalls, dass eine Mitarbeiterin entsprechende Rufe gehört habe. Polizei und Feuerwehr bestätigten dies aber nicht. Sie hielten sich nach eigenen Angaben längere Zeit vor der Unterkunft auf.

Schaulustige hielten sich vor Unterkunft auf

Laut Polizei hatte sich der Flüchtling am Freitag aus dem Fenster seiner Unterkunft gestürzt. Die Beamten gehen von Suizid aus. Sie gaben das Alter des Flüchtlings mit 17 an. Allerdings kursieren unterschiedliche Angaben. "Es gibt verschiedene Datensätze", erklärte ein Polizeisprecher. Das sei nicht ungewöhnlich bei minderjährigen Flüchtlingen, wenn sie etwa ohne Pass nach Deutschland kommen.

Den Angaben zufolge war der Jugendliche zuvor wegen psychischer Probleme in Behandlung. Kurz vor der Tat habe er in der Unterkunft randaliert, weshalb die Polizei gerufen wurde. Die Beamten konnten ihn aber nicht mehr vom Sprung aus dem fünften Stock abhalten. Einem Sprecher zufolge sprang der Flüchtling neben ein von der Feuerwehr aufgespanntes Sprungtuch. Er starb in einem Krankenhaus.

Polizei und Feuerwehr bestätigten, dass sich Schaulustige vor der Unterkunft aufhielten. Nach Polizeiangaben filmte ein Passant die Szenen mit einem Handy. Er sei noch vor Ort aufgefordert worden, das Video zu löschen, was er vor den Augen der Beamten auch getan habe.

"Wir sind alle Menschen"

Bürgermeister Schrade sagte auf Anfrage, zunächst müssten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgewartet werden. Sie werde bei solchen Fällen automatisch eingeschaltet. Von einem Fremdverschulden werde nicht ausgegangen. Wie gut der junge Mann Deutsch konnte und angebliche Suizid-Aufrufe überhaupt verstehen konnte, ist unklar. Die Polizei hatte eigenen Angaben zufolge einen Dolmetscher angefordert, um ihn vom Sprung aus dem Fenster abzuhalten.

Sollte es "Spring doch"-Rufe wirklich gegeben haben, sei das nicht tolerierbar, schrieb der Bürgermeister auf Facebook. "Es ist verachtenswert, ja unmenschlich. Ob Geflüchtete oder hier Lebende: Wir alle sind Menschen." Zudem schrieb er: "Leider erreichten mich heute auch Bildaufnahmen, die den Jungen auf dem Fensterbrett sitzend zeigten, versehen mit unbegreiflichen Kommentaren."

Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, zeigte sich entsetzt: "Ich finde es unfassbar, wie Verzweifelten und Schutzsuchenden in diesen Zeiten Hass und Verachtung entgegenschlägt", erklärte sie am Sonntag.