Gesund aufwachsen ohne Fleisch und Milch?

22.4.2018, 18:43 Uhr
Es muss nicht immer Brokkoli sein: Experten halten eine Ernährung mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln und mäßigem Konsum von tierischen Produkten für die beste Variante.

© Caroline Seidel/dpa Es muss nicht immer Brokkoli sein: Experten halten eine Ernährung mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln und mäßigem Konsum von tierischen Produkten für die beste Variante.

Ein Satz aus dem Radio hat die heute elfjährige Tamara zur Vegetarierin werden lassen. "In einem Interview zur Massentierhaltung sagte ein Experte, dass auch auf Biohöfen Tiere nicht mit Freude sterben, damit wir sie essen können", erinnert sich Tamaras Mutter. Dieser Satz habe sich derart in das Gehirn des Kindes eingebrannt, dass es plötzlich Fleisch ablehnte.

Das war vor eineinhalb Jahren. Bis auf einen Rückfall – die knusprigen Hähnchenflügel waren zu verlockend – hat Tamara komplett auf Fleisch und Wurst verzichtet. Die 29-jährige dreifache Mutter aus einer kleinen Gemeinde bei Dresden, die mit ihrer Tochter anonym bleiben möchte, musste also ihre Kochgewohnheiten umstellen.

"Es gibt keine genauen Zahlen, wir beobachten jedoch, dass immer mehr Kinder und Jugendliche fleischfrei leben", sagt Wiebke Unger, Sprecherin von ProVeg, dem früheren Vegetarierbund Deutschland. Doch wie gesund oder schädlich ist es, in der Wachstumsphase Grundnahrungsmittel wegzulassen?

Was junge Vegetarier und Veganer genau essen und wie es um ihre Nährstoffversorgung steht, ist bislang nur unzureichend erforscht. "Es gibt keine objektiven Zahlen", sagt Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum. Studien wie die VeChi Diet wollen die schlechte Datenlage verbessern. Die Studie wird von der Erna-Graf-Stiftung für Tierschutz finanziert.

In Berlin wurden gestern erste Ergebnisse vorgestellt. Die nicht repräsentativen Daten von 364 Kindern im Alter von einem bis drei Jahren zeigen, dass zehn Prozent der vegan ernährten und sechs Prozent der vegetarisch ernährten Kinder zu klein für ihr Alter waren.

Blutuntersuchungen fehlen

Dies könne ein Anzeichen für eine nicht optimale Ernährung sein, sagte Studienleiter Markus Keller von der Fachhochschule des Mittelstands. Der Großteil dieser Kinder, rund 90 Prozent, seien in Gewicht und Größe normal. Bei den Mischköstlern habe es keine Defizite gegeben, jedoch drei Prozent Übergewichtige.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, "dass auch eine vegane oder vegetarische Ernährung im Kleinkindalter bedarfsdeckend sein kann, wenn auf eine ausreichende Zufuhr von Nahrungsenergie und kritischen Nährstoffen, insbesondere Vitamin B12, geachtet wird". Ein Zusatz dieses Vitamins ist besonders für Veganer bedeutend, die auf alles Tierische verzichten. Es kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor und ist wichtig für die Entwicklung von Hirn und Nervensystem.

Die Forscher untersuchten die Zufuhr bestimmter Nährstoffe – aber nicht, wie sie aufgenommen wurden. Dafür würde man Blutdaten benötigen. Daher seien die Ergebnisse nur bedingt aussagekräftig, sagt Silke Restemeyer, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die geistigen Fähigkeiten der Kinder wurden nicht untersucht.

Knackpunkt B12

Die DGE empfiehlt eine vegane Ernährung für Kinder und Jugendliche nicht. Eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen sei nicht oder nur schwer möglich. "Wer sich dennoch vegan ernähren möchte, sollte dauerhaft ein Vitamin-B12-Präparat einnehmen, auf eine ausreichende Zufuhr vor allem der kritischen Nährstoffe achten und gegebenenfalls angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate verwenden", heißt es. Als kritisch gelten unentbehrliche Aminosäuren und langkettige n-3-Fettsäuren sowie weitere Vitamine wie Riboflavin und Vitamin D, aber auch Calcium, Eisen, Jod, Zink und Selen. Eine vegetarische Ernährung halten die Experten für eher machbar. Die DGE hält diese Variante als "Dauerkost" für empfehlenswert.

Auch der elfjährigen Tamara geht es gut, das bestätigten Kinderärzte, sagt ihre Mutter. "Dass sie durch die vegetarische Kost jetzt aufgeblüht und besonders gesund wirkt, kann ich aber nicht sagen."

Mathilde Kersting hält die sogenannte optimierte Mischkost mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln und mäßigem Konsum von tierischen Produkten für die beste Variante. Dieses Ernährungskonzept sei am Forschungsinstitut für Kinderernährung entwickelt worden, sagt die ehemalige Leiterin. Es garantiere eine adäquate Nährstoffzufuhr.

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