"Hochzeitsnacht": Der Täter als Opfer

17.9.2012, 14:00 Uhr

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Der Sonntagabend-Krimi Tatort greift meistens gesellschaftsrelevante Themen auf, die Bremer Ausgabe ist besonders für die Beleuchtung sozialer Hintergründe bekannt. Diesmal verschlägt es das Duo Lürsen/Stedefreund aufs Dorf, weil ein alter Bekannter von Stedefreund dort seine Hochzeit feiert und Inga Lürsen sich als Begleiterin erbarmt hat. Konkret heißt das: eine Feier mit bunten Luftballons und billiger Schlagermusik, betrunkene Hohelieder auf das Ehepaar, Polonese und derbe Scherze. Im Gegensatz zu Inga Lürsen, die sich mit heiterer Miene auf das Spektakel einlässt, flüchtet Stedefreund bereits nach wenigen Minuten ins Freie. Aber der als Vorwand benutzte Hund, der Gassi geführt werden muss, setzt sich ebenfalls ab, und Stedefreund hetzt hinterher.

So spalten Drehbuchautor Jochen Greve und Regisseur Florian Baxmeyer schon ganz am Anfang den Handlungsfaden um den Kriminalbeamten Stedefreund von der Ermittlerin Lürsen ab. Die Hauptkommissarin bleibt im Gasthaus, in dem das Fest stattfindet. Dort dringen zwei maskierte Gestalten ein und stören brutal die Feierlichkeiten. Insofern befindet sich Lürsen in einer gefährlichen, Stedefreund in einer kurios-komischen Situation. Letztere wird noch gesteigert, indem der Kommissar auf der Jagd nach dem Hund irgendwie in einen Tümpel fällt und bei dem Versuch, sich herauszuziehen, irgendwie seine Hosen verliert.

Diese dramaturgische Trennung von Tragischem und Komischem funktioniert durchaus und versetzt die Zuschauer in ein Pendeln zwischen Spannung und Humor. Der folgende Handlungsverlauf ist den Charakteren der Kriminalbeamten angepasst: Stedefreund steht mit Hund und ohne Hosen vor dem Gasthaus, begreift die Lage und eilt – mit der ihm eigenen Verbissenheit – weiter auf der Suche nach Hilfe. Lürsen behält in einer schwierigen Situation einen kühlen Kopf und die Fäden in der Hand. Diesbezüglich gibt es also keine Überraschungen, sondern die typischen Züge der Kriminalbeamten werden beibehalten und von Postel und Mommsen überzeugend gespielt. Erwähnenswert ist noch, dass die Handlung um Lürsen allein und statisch im Gasthaus verortet wird, während Stedefreund in einer chaotisch anmutenden Dynamik von einer Stelle an die andere hastet.

Als die von Stedefreund herbeigeholte Polizei das Gasthaus „Holzkrug“ außen einkreist, verdichtet sich die Lage im Inneren des Gasthauses zur Aufarbeitung einer längst begrabenen Geschichte: Einer der Maskierten wurde für einen Mord verurteilt, hat das Verbrechen jedoch nicht begangen. Nun will er Gerechtigkeit und den wahren Schuldigen finden. Seine mit Maschinenpistole begangene Befragung lässt tief in die Abgründe des Dorflebens blicken. Von abgrundtiefer Langeweile wird erzählt, von Drogen und Verhältnissen, die die Leere auffüllen sollen, von Vetternwirtschaft und der verborgenen Destruktivität von Dorfcliquen.

Als „Scheiß-Bauern“ beschimpft der Eindringling die Anwesenden, und es wird klar, warum: Die Gedanken der beschuldigten Personen drehen sich nur um sich selbst, keine Moral, keine Erziehung, keine höhere Idee formt ihre Vorstellungen. Am Schluss stellt sich heraus, dass Carola Brinkmann vom Vater der Braut bezahlt wurde, um mit dem Vater des Bräutigams ins Bett zu gehen. Der Brautvater wollte dadurch bürokratische Erleichterungen für seine Firma erwirken. Als die Sache aufzufliegen droht, bringt er Carola und Jahre später den Vater des Bräutigams um. Diese Auflösung stellt keine besonders originelle Idee dar, schon gar nicht für einen Jubiläumstatort. Auch die ausgedehnte Befragung der Hochzeitsgäste durch den angeblichen Mörder von Carola Brinkmann zieht sich stellenweise in die Länge und bleibt dadurch, dass sie ausschließlich im Gasthaus spielt, etwas statisch. Lediglich die Szenenwechsel auf den chaotisch herumirrenden Stedefreund verleihen dem Plot Dynamik. Insofern bietet diese 26. Tatort-Folge zwar solide Unterhaltung, aber an die Qualität von „Scheherazade“ (Ermittlung von Lürsen und Stedefreund aus dem Jahr 2005) kommt sie nicht heran – obwohl man sich das sehr gewünscht hätte.

 

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