"Ich bedauere zutiefst": Mann gesteht Mord an Schwester

28.3.2017, 19:35 Uhr

© Alexander Heinl / dpa

Ein Schluchzen unterbricht die Anwältin. Der Angeklagte kann seine Tränen nicht zurückhalten. Es ist schon das zweite Mal, dass er seine Anwältin mit der Bitte um ein Taschentuch unterbricht. "Ja mei, wenn wir das gewusst hätten", murmelt diese - dann liest sie die Erklärung ihres Mandanten weiter vor: "Ich bedauere zutiefst, dass ich in dieser Situation die Beherrschung verlor", endet die Stellungnahme. "Ich trage die volle Verantwortung für den Tod meiner Schwester."

Im Gerichtssaal B 175 im Landgericht München ist es für einen Moment ganz ruhig, nur der Angeklagte schnieft. Am Dienstag hat gegen ihn ein spektakulärer Mordprozess begonnen. Der 37-Jährige mit sorgsam gegelten Haaren und dunkelblauem Sakko soll seine Schwester mit einer Kordel eines Schuhsacks erdrosselt haben. Eine Kurzschlussreaktion aus Wut, die sich sein Leben lang in ihm angestaut habe.

"Meine Kindheit lief leider nicht so, wie es sich ein kleiner Junge erwünscht", lässt der Angeklagte über seine Anwältin erklären. Der Vater, "von Beruf Straftäter", sei öfter im Gefängnis als am Esstisch daheim gewesen. Die Mutter - demnach mit der Erziehung der drei kleinen Kinder vollkommen überfordert. Mit gerade einmal zwei Jahren kam der Angeklagte mit seinen beiden Schwestern in ein Heim. "Es war ein Leiden", übersetzt eine Dolmetscherin aus dem Ungarischen, der Muttersprache des Angeklagten. Regelmäßig sei er von Pädagogen gedemütigt, geschlagen und ins kalte Wasser getaucht worden.

"Sie können uns ja erzählen, was Sie wollen", sagt der Richter. Zuvor habe der 37-Jährige noch berichtet, wie wohl er sich in dem Kinderheim gefühlt habe. "Das ist diametral anders, als das was Sie uns heute erzählen", sagt der Richter zum Angeklagten, dessen Stimme nur noch schwer zu verstehen ist. "Ich habe diese ganzen Regeln und Paragrafen nicht gekannt", übersetzt die Dolmetscherin. Er habe Angst gehabt, lebenslang in die Nervenanstalt zu kommen, wenn er dem Gutachter von den Demütigungen erzähle.

Bei seiner ein Jahr älteren Schwester habe er damals Halt gesucht. Doch auch sie wäre verstört gewesen. Statt mit Liebe sei sie ihrem Bruder mit Gewalt begegnet. Sie habe ihn angebrüllt, ihn getreten und Gegenstände nach ihm geworfen, schildert der Angeklagte vor Gericht. Die Peinigungen sollten laut seiner Schilderung niemals aufhören.

Opfer überwies monatlich 900 Euro

Mit 13 Jahren konnte der mutmaßliche Täter aus dem Heim fliehen, aber den Demütigungen seiner Schwester entkam er nie. Selbst als diese Jahre später nach München zog und Tausende Kilometer zwischen den Geschwistern lagen. "Warum haben Sie den Kontakt nicht abgebrochen?", fragt der Richter. Der luxuriöse Lebensstil seiner Schwester sei jedenfalls nicht der Grund gewesen, versichert der Angeklagte. Auch nicht ihre monatlichen Überweisungen von 900 Euro, die seiner fünfköpfigen Familie den Lebensunterhalt gesichert haben.

"Warum haben Sie sich dann nicht gewehrt?", hakt der Richter nach. Er habe Angst gehabt vor seiner Schwester, erklärte der Angeklagte. "Das ist meine Schwäche, mein Fehler, dass ich das Ganze so weit habe kommen lassen."

Anfang Februar 2016 eskaliert das Ganze: Zu diesem Zeitpunkt ist der Mann in München, um seiner Schwester bei einem Umzug zu helfen. Die damals 38-Jährige habe einen Wutanfall nach dem anderen gehabt, sagt der mutmaßliche Täter vor Gericht. "Ich kam mir vor wie ein Boxsack, an dem sie ihre Launen ausließ." Ihr Schimpfen über seine Kinder habe das Fass zum Überlaufen gebracht.

Die Stimme des Angeklagten bricht weg, als er erzählt, wie er weglaufen wollte und seine Schwester die Tür ihres Schlafzimmers versperrte. Sie habe ihn in den Bauch geschlagen, an den Knöchel getreten und ins Gesicht gespuckt. Bei der Rangelei sei ihr Kopf unter seinen Arm gekommen, übersetzt die Dolmetscherin. Sie gerät kurz ins Stocken, als sie nach dem richtigen Begriff für "Schwitzkasten" sucht. In der Hand habe der Bruder noch einen Schuhsack mit langer Kordel gehalten, fährt sie schließlich fort.

"Dann geriet diese Schnur irgendwie an ihren Hals und wahrscheinlich habe ich zugezogen, das weiß ich nicht mehr so genau", sagt der Angeklagte und starrt auf den Boden. Was er erwarte, wenn man einem Menschen eine Kordel um den Hals legt, will der Richter von dem 37-Jährigen wissen. "Ich wollte das alles nicht so", flüstert dieser - und wischt sich mit einem Taschentuch die Tränen ab.

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