Kanzler, Krisenmanager, Kettenraucher: Helmut Schmidt ist tot

1.9.2015, 20:06 Uhr
So kannte ihn ganz Deutschland: Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gönnte sich, dem Rauchverbot zum Trotz, nach seiner Rede auf dem Bundesparteitag der SPD in Berlin am 4. Dezember 2011 eine Zigarette. Am 23. Dezember 1918 wurde der Mann, der acht Jahre Kanzler war und bis heute aktiv an politischen Debatten teilnimmt, in Hamburg geboren.  Ein Leben voller Höhen und Tiefen - wir blicken zurück.
1 / 17

Kettenraucher

So kannte ihn ganz Deutschland: Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gönnte sich, dem Rauchverbot zum Trotz, nach seiner Rede auf dem Bundesparteitag der SPD in Berlin am 4. Dezember 2011 eine Zigarette. Am 23. Dezember 1918 wurde der Mann, der acht Jahre Kanzler war und bis heute aktiv an politischen Debatten teilnimmt, in Hamburg geboren. Ein Leben voller Höhen und Tiefen - wir blicken zurück. © dpa

Schlagartig bundesweit bekannt wurde Helmut Heinrich Waldemar Schmidt 1962. Als Innensenator der Hansestadt Hamburg koordinierte der direkt nach dem Zweiten Weltkrieg in die SPD eingetretene Politiker die Rettungseinsätze in der Nacht vom 16. auf 17. Februar, als die schwerste Sturmflut seit Menschengedenken die deutsche Nordseeküste heimsuchte. Im Angesicht der Katastrophe traf er damals die waghalsige Entscheidung, auch Soldaten der Bundeswehr in den Rettungseinsatz zu schicken - bis dahin ein echtes Tabu in einem Land, das nur wenige Jahre zuvor noch heftig über die Wiederbewaffnung gestritten hatte. 340 Menschen starben - es hätten viel mehr sein können, wenn Schmidt nicht den Überblick behalten hätte. Die Menschen dankten es Schmidt, und Schmidt dankte den Soldaten.
2 / 17

Krisenmanager

Schlagartig bundesweit bekannt wurde Helmut Heinrich Waldemar Schmidt 1962. Als Innensenator der Hansestadt Hamburg koordinierte der direkt nach dem Zweiten Weltkrieg in die SPD eingetretene Politiker die Rettungseinsätze in der Nacht vom 16. auf 17. Februar, als die schwerste Sturmflut seit Menschengedenken die deutsche Nordseeküste heimsuchte. Im Angesicht der Katastrophe traf er damals die waghalsige Entscheidung, auch Soldaten der Bundeswehr in den Rettungseinsatz zu schicken - bis dahin ein echtes Tabu in einem Land, das nur wenige Jahre zuvor noch heftig über die Wiederbewaffnung gestritten hatte. 340 Menschen starben - es hätten viel mehr sein können, wenn Schmidt nicht den Überblick behalten hätte. Die Menschen dankten es Schmidt, und Schmidt dankte den Soldaten. © dpa

Im Februar 1967 übernahm Schmidt die Führung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Zusammen mit Willy Brandt prägte er in den nächsten 15 Jahren die sozialdemokratische Partei und Deutschland. Dabei immer an seiner Seite: Ehefrau Hannelore ("Loki"). Egal ob bei öffentlichen Auftritten wie hier bei einer Schiffstaufe in Finkenwerder im Frühjahr 1968...
3 / 17

Loki ist immer dabei

Im Februar 1967 übernahm Schmidt die Führung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Zusammen mit Willy Brandt prägte er in den nächsten 15 Jahren die sozialdemokratische Partei und Deutschland. Dabei immer an seiner Seite: Ehefrau Hannelore ("Loki"). Egal ob bei öffentlichen Auftritten wie hier bei einer Schiffstaufe in Finkenwerder im Frühjahr 1968... © dpa

...oder im Urlaub am Brahmsee in Schleswig Holstein: Loki Schmidt war die starke Frau an der Seite eines starken Mannes, dabei selbst vielseitig engagiert und beliebt. Kennengelernt hatte sich das Paar 1929 in der Schule im Hamburg, die Heirat folgte mitten in den Wirren des Zweiten Weltkrieges im Sommer 1942. Über  58 Jahre lang war das Ehepaar Schmidt ein Herz und eine Seele.
4 / 17

58 Jahre Seite an Seite

...oder im Urlaub am Brahmsee in Schleswig Holstein: Loki Schmidt war die starke Frau an der Seite eines starken Mannes, dabei selbst vielseitig engagiert und beliebt. Kennengelernt hatte sich das Paar 1929 in der Schule im Hamburg, die Heirat folgte mitten in den Wirren des Zweiten Weltkrieges im Sommer 1942. Über 58 Jahre lang war das Ehepaar Schmidt ein Herz und eine Seele. © dpa

Als Willy Brandt 1974 zurücktreten musste, wählte der Bundestag den bisherigen Finanzminister Helmut Schmidt zum neuen Bundeskanzler. Im Vergleich mit dem Charismatiker Brandt hatte es Schmidt ungleich schwerer. Dies lag nicht zuletzt an der Roten Armee Fraktion (RAF), deren Terroranschläge vor allem in seine Amtszeit fielen. Besonders im "Deutschen Herbst" 1977 waren Schmidts Krisenmanagementfähigkeiten gefragt, als Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt wurde. Die Ausweglosigkeit eines Politikers, der aus Gründen der Staatsräson den Forderungen der Terroristen nicht nachgeben kann, stand dem Bundeskanzler bei seiner Fernsehansprache im September 1977 ins Gesicht geschrieben.
5 / 17

Der Krisenmanager ist wieder gefragt

Als Willy Brandt 1974 zurücktreten musste, wählte der Bundestag den bisherigen Finanzminister Helmut Schmidt zum neuen Bundeskanzler. Im Vergleich mit dem Charismatiker Brandt hatte es Schmidt ungleich schwerer. Dies lag nicht zuletzt an der Roten Armee Fraktion (RAF), deren Terroranschläge vor allem in seine Amtszeit fielen. Besonders im "Deutschen Herbst" 1977 waren Schmidts Krisenmanagementfähigkeiten gefragt, als Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt wurde. Die Ausweglosigkeit eines Politikers, der aus Gründen der Staatsräson den Forderungen der Terroristen nicht nachgeben kann, stand dem Bundeskanzler bei seiner Fernsehansprache im September 1977 ins Gesicht geschrieben. © dpa

Die Forderung der Entführer, die inhaftierte erste Generation der RAF um Gudrun Ensslin und Andreas Baader freizulassen, konnte die Bundesregierung nicht erfüllen. Als Reaktion darauf erschossen am 19. Oktober die Terroristen Schleyer. Sechs Tage später kondolierte Schmidt der Witwe des Ermordeten, Waltrude Schleyer, in der Sankt Eberhardskirche in Stuttgart. Später bekannte Schmidt, dass er die Verantwortung für das Leben von Gefangenen, die auf ihm als Bundeskanzler gelastet habe, als existentiell bedrückend empfunden habe.
6 / 17

"Existentiell bedrückend"

Die Forderung der Entführer, die inhaftierte erste Generation der RAF um Gudrun Ensslin und Andreas Baader freizulassen, konnte die Bundesregierung nicht erfüllen. Als Reaktion darauf erschossen am 19. Oktober die Terroristen Schleyer. Sechs Tage später kondolierte Schmidt der Witwe des Ermordeten, Waltrude Schleyer, in der Sankt Eberhardskirche in Stuttgart. Später bekannte Schmidt, dass er die Verantwortung für das Leben von Gefangenen, die auf ihm als Bundeskanzler gelastet habe, als existentiell bedrückend empfunden habe. © dp

In den frühen achtziger Jahren rückte ein anderes Thema in den Mittelpunkt der deutschen Öffentlichkeit: Die Debatte um den sogenannten NATO-Doppelbeschluss. Helmut Schmidt präsentierte sich dabei als entschiedener Verfechter der Idee, mit der kommunistischen Sowjetunion weiterhin über Abrüstung zu verhandeln, gleichzeitig aber amerikanische Pershing-II-Raketen auf deutschen Staatsgebiet zu stationieren. Gegen diese Entscheidung der westlichen Regierungen protestierten Hunderttausende. Helmut Schmidt geriet heftig unter Druck, setzte sich aber am Ende durch. Die Folge war allerdings das Erstarken der Grünen als politisches Sprachrohr der Friedensbewegung.
7 / 17

Gegen alle Widerstände

In den frühen achtziger Jahren rückte ein anderes Thema in den Mittelpunkt der deutschen Öffentlichkeit: Die Debatte um den sogenannten NATO-Doppelbeschluss. Helmut Schmidt präsentierte sich dabei als entschiedener Verfechter der Idee, mit der kommunistischen Sowjetunion weiterhin über Abrüstung zu verhandeln, gleichzeitig aber amerikanische Pershing-II-Raketen auf deutschen Staatsgebiet zu stationieren. Gegen diese Entscheidung der westlichen Regierungen protestierten Hunderttausende. Helmut Schmidt geriet heftig unter Druck, setzte sich aber am Ende durch. Die Folge war allerdings das Erstarken der Grünen als politisches Sprachrohr der Friedensbewegung. © dpa

Zu Fall brachte Schmidt letztendlich weder die RAF noch die Friedensbewegung, sondern der kleine Koalitionspartner, die FDP. Hauptstreitpunkt war die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Mit dem Austritt aller FDP-Minister aus der Regierung am 17. September 1982 war Schmidt politisch am Ende. Ein erfolgreiches konstruktives Misstrauensvotum beendete seine Kanzlerschaft, und Schmidt gratulierte seinem siegreichen Nachfolger Helmut Kohl (CDU).
8 / 17

Am Tiefpunkt

Zu Fall brachte Schmidt letztendlich weder die RAF noch die Friedensbewegung, sondern der kleine Koalitionspartner, die FDP. Hauptstreitpunkt war die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Mit dem Austritt aller FDP-Minister aus der Regierung am 17. September 1982 war Schmidt politisch am Ende. Ein erfolgreiches konstruktives Misstrauensvotum beendete seine Kanzlerschaft, und Schmidt gratulierte seinem siegreichen Nachfolger Helmut Kohl (CDU). © dpa

Schmidt allerdings zog sich im Gegensatz zu anderen altgedienten Politikern bis heute nicht aus dem öffentlichen Leben zurück. Als Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" spielt er noch immer eine gewichtige Rolle in der Öffentlichkeit. Zudem ist er gerade in den vergangenen Jahren gefragt als großer alter Mann der SPD, der über Parteigrenzen hinweg sowie in der Bevölkerung hohes Ansehen genießt.
9 / 17

Im Unruhestand

Schmidt allerdings zog sich im Gegensatz zu anderen altgedienten Politikern bis heute nicht aus dem öffentlichen Leben zurück. Als Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" spielt er noch immer eine gewichtige Rolle in der Öffentlichkeit. Zudem ist er gerade in den vergangenen Jahren gefragt als großer alter Mann der SPD, der über Parteigrenzen hinweg sowie in der Bevölkerung hohes Ansehen genießt. © dpa

"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", hat Helmut Schmidt einmal gesagt. Mit seiner nüchternen Art hat Schmidt als Politiker die Bundesrepublik entscheidend geprägt.
10 / 17

Ein pragmatischer Politiker

"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", hat Helmut Schmidt einmal gesagt. Mit seiner nüchternen Art hat Schmidt als Politiker die Bundesrepublik entscheidend geprägt. © dpa

Entsprechend groß war die Anteilnahme vor allem in der Heimatstadt Hamburg, als Schmidts Ehefrau Loki am 21. Oktober 2010 im Alter von 91 Jahren in ihrem Haus in Langenhorn starb. Tausende Menschen trauerten mit dem Alt-Bundeskanzler, der sich so sehnlich gewünscht hatte, im hohen Alter nicht alleine durchs Leben gehen zu müssen.
11 / 17

Abschied von Loki

Entsprechend groß war die Anteilnahme vor allem in der Heimatstadt Hamburg, als Schmidts Ehefrau Loki am 21. Oktober 2010 im Alter von 91 Jahren in ihrem Haus in Langenhorn starb. Tausende Menschen trauerten mit dem Alt-Bundeskanzler, der sich so sehnlich gewünscht hatte, im hohen Alter nicht alleine durchs Leben gehen zu müssen. © dpa

Nun musste er es doch. Versteckt hatte er sich nach dem Tod seiner Frau aber nicht. Stattdessen meldete er sich weiterhin regelmäßig zu aktuellen politischen Fragen zu Wort, insbesondere dann, wenn es um seine SPD ging. So setzte er sich vehementer als manchem Genossen Recht war, für Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten ein.
12 / 17

"Er ist der geeignete Mann"

Nun musste er es doch. Versteckt hatte er sich nach dem Tod seiner Frau aber nicht. Stattdessen meldete er sich weiterhin regelmäßig zu aktuellen politischen Fragen zu Wort, insbesondere dann, wenn es um seine SPD ging. So setzte er sich vehementer als manchem Genossen Recht war, für Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten ein. © dpa

Zwei Jahre nach Lokis Tod zeigte sich  Altkanzler Schmidt mit seiner neuen Lebensgefährtin: Ruth Loah, seit langem eine seiner engsten Vertrauten. Viel Aufhebens will der 96-Jährige darum nicht machen.
13 / 17

Neue Lebensgefährtin

Zwei Jahre nach Lokis Tod zeigte sich Altkanzler Schmidt mit seiner neuen Lebensgefährtin: Ruth Loah, seit langem eine seiner engsten Vertrauten. Viel Aufhebens will der 96-Jährige darum nicht machen. © Angelika Warmuth/Archiv (dpa)

"Ich denke jeden Tag an Loki", sagte  Helmut Schmidt in der TV-Sendung "Maischberger". Es sind gute Erinnerungen. Denn richtig zum Scherzen mit den Schülern aufgelegt war der Altbundeskanzler  beim Festakt zur Umbenennung einer Hamburger Grundschule in Loki-Schmidt-Schule.
14 / 17

Gut gelaunt

"Ich denke jeden Tag an Loki", sagte Helmut Schmidt in der TV-Sendung "Maischberger". Es sind gute Erinnerungen. Denn richtig zum Scherzen mit den Schülern aufgelegt war der Altbundeskanzler beim Festakt zur Umbenennung einer Hamburger Grundschule in Loki-Schmidt-Schule. © dapd

Die Reihe der Ehrungen reißte im Alter nicht ab: Im September 2012 hatte der greise Altkanzler mit einem Aufruf zu mehr deutschem Engagement für Europa den Preis des Westfälischen Friedens in Empfang genommen. "Wir müssen nicht nur Fürsprecher der Europäischen Union sein. Sondern wir müssen — weit darüber hinaus — proaktiv handeln und agieren", forderte der 96-Jährige. Eine weitere Auszeichnung nahm die Organisation "Children for a better world" aus München für ihre Kinderprojekte entgegen.
15 / 17

Engagierter Europäer

Die Reihe der Ehrungen reißte im Alter nicht ab: Im September 2012 hatte der greise Altkanzler mit einem Aufruf zu mehr deutschem Engagement für Europa den Preis des Westfälischen Friedens in Empfang genommen. "Wir müssen nicht nur Fürsprecher der Europäischen Union sein. Sondern wir müssen — weit darüber hinaus — proaktiv handeln und agieren", forderte der 96-Jährige. Eine weitere Auszeichnung nahm die Organisation "Children for a better world" aus München für ihre Kinderprojekte entgegen. © dpa

Eine Operation wegen eines Blutgerinnsels im Bein hatte er Anfang September 2015 scheinbar gut überstanden. Nach der Operation bekam der passionierte Raucher anstatt Zigaretten nur ein Nikotinpflaster. In den Wochen danach verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer wieder.
16 / 17

Verzichtet auf Zigaretten

Eine Operation wegen eines Blutgerinnsels im Bein hatte er Anfang September 2015 scheinbar gut überstanden. Nach der Operation bekam der passionierte Raucher anstatt Zigaretten nur ein Nikotinpflaster. In den Wochen danach verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer wieder. © dpa

Nachdem sich sein Gesundheitszustand in den Wochen nach seiner OP Ende Oktober immer wieder verschlechterte, starb der 96-Jährige am 10. November 2015.
17 / 17

Trauer um den Altkanzler

Nachdem sich sein Gesundheitszustand in den Wochen nach seiner OP Ende Oktober immer wieder verschlechterte, starb der 96-Jährige am 10. November 2015. © dpa

Verwandte Themen