Oscars 2015…und alle sagen: "Fuck you, Fernsehen!"

23.2.2015, 10:06 Uhr
Oscars 2015…und alle sagen:

© AFP

Bezeichnend, dass TV-Star Neil Patrick Harris die diesjährige Verleihung der Academy Awards moderiert. Immerhin hat er mit der Figur des Barney Stinson in der Sitcom How I Met Your Mother eine jener Zeitgeist-Ikonen der Popkultur geschaffen, für deren Kreation früher der amerikanische Kinofilm bekannt war. Man erinnere sich: Dennis Hopper und Peter Fonda als Easy Rider in den 60ern, John Travolta mit unstillbarem Saturday Night Fever in den 70ern oder Harrison Ford, wahlweise als Han Solo oder Indiana Jones in den 80ern.

Spielfilm-Charaktere mit soziologischem Mehrwert zu schaffen, vom Pöbel "Kult-Figuren" genannt, sowas gelang nur Hollywood. Heute ist das anders. Die fiktiven Idole der Generation Social Media heißen Barney Stinson, Walter White, sind True Detectives, Angehörige des aussterbenden Hauses Stark oder kämpfen gegen eine Weltregierung von wandelnden Toten ums Überleben. Kurzum: Sie kommen aus dem Fernsehen. Weil dort das stattfindet, was in Hollywood seit Längerem verpönt zu sein scheint, eine Sache namens Innovation. Das neue New Hollywood nennt sich HBO.

Wie reagiert man also bei der Oscar-Verleihung auf derlei Entwicklungen, soll sie doch Jahres-Werk- und Schulterklopfschau in der alten Glitzer-Metropole des Films sein? Sehr langsam. Harris hat seine Hochzeit nach dem dürftigen Ende von How I Met Your Mother schon hinter sich, ihn zum Host der Show zu machen, um damit auch das TV irgendwie einzubinden, drückt eher Hilflosigkeit aus. Aber er macht seine Sache ordentlich, schließlich ist NPH ein alter Hase im Gastgeber-Geschäft: Ein furioser Musical-Auftakt, der mit freundlicher Unterstützung von Anna Kendrick in Erinnerungen an die ruhmreiche US-Filmhistorie schwelgt und mit erfrischend unfreundlicher Unterstützung von Jack Black den status quo der Filmindustrie verspottet.

Technische Störungen und alte Bekannte

Das war’s dann aber auch schon mit dem Biss, die restlichen 3,5 Stunden wird genüsslich in Nostalgie gebadet – für den deutschen Zuschauer dauert es nicht ganz so lang: als ob sich das Fernsehen schon mal in Trotz übt, fällt bei Pro7 kurz nach der Eröffnungsnummer die Übertragung ins Wasser. Für zehn Minuten entschuldigt sich der Sender mit Standbild für eine technische Störung. Dann ist das Bild wieder da, die Routine geht weiter.

Die Namen der nominierten Schauspieler sind im Grunde seit Jahren die Immergleichen, Julianne Moore (zum 5. Mal nominiert) trifft auf Reese Whiterspoon (hat ihn schon gewonnen), trifft auf Marion Cotillard (hat ihn auch schon), trifft auf Bradley Cooper (zum dritten Mal in Folge nominiert). Freilich darf der Quoten-Altstar (meist daran erkennbar, dass der ganze Saal bei Erwähnung seines Namens aufsteht, klatscht und ehrfürchtig dreinschaut) nicht fehlen, diesmal hat es Robert Duvall erwischt (fünfmal nominiert, einmal gewonnnen). Und wenn bei den Regisseuren Steven Spielberg und Clint Eastwood – wie heuer - mal fehlen, geben sich eben Wes Anderson (5. Mal) und Richard Linklater (3. Mal) ein Stelldichein.

Ein arg inzestuös anmutendes Treffen alter Bekannter also, das ist mindestens so originell und zukunftsweisend wie die dreifache Preisträgerin Meryl Streep zum 19. Mal für den Goldjungen zu nominieren. Für eine Musical-Rolle. Selbst der Auftritt von Lady Gaga, ansonsten immer für ein kleines Skandälchen gut, erweist sich als zwar stimmgewaltige, aber letztlich absolut biedere Hommage an – wer hätte das gedacht? – einen alten Hollywood-Musical-Klassiker, diesmal "The Sound Of Music". Nostalgie, mehr geht heute wohl nicht.

Die Filme? Nebensache. Hauptsache so ziemlich alle Favoriten heimsen ihre abonnierten Oscars ein. Julianne Moore als Alzheimer-Patientin in "Still Alice", Eddie Redmayne als Stephen Hawking im Biopic "Die Entdeckung der Unendlichkeit" und auch ansonsten läuft es, wie es wohl laufen soll: Dröge, vorhersehbar und zwischendurch wird an die Vergangenheit erinnert. Auf makabere Weise spannend ist da bereits die verteufelt lange Liste der im vergangenen Jahr verstorbenen Schauspieler beim "In Memoriam"-Part.

Mit Selfies macht man kein Geld

Und wie behandelt man bei den Oscars 2015 das Internet, den finanziellen Lord Voldemort traditioneller Hollywood-Strukturen? Außer zu Werbezwecken - gar nicht. Der letztjährige Coup mit dem Promi-Selfie, das nicht nur den Begriff "Selfie" hierzulande gebräuchlich gemacht hat, sondern vor allem auch die sozialen Netzwerke kurzzeitig lahmlegte, war wohl genug "Neue Medien" für die nächsten Oscar-Jahre: Ein neuer Hype für umsonst? Gar nicht Hollywood-like. Wo doch jeder pickelige Teenager mit einem zweiminütigen Homevideo auf Youtube mehr Zuschauer erreicht als ein künstlerisch wertvoller Independent-Film.

Da sind die alten Studiobosse lieber heilfroh, der Streaming-Apocalypse mit profitablen Blockbuster-Franchise-Konzepten entgegentreten zu können. Hier lauten die Zauberworte Remake, Prequel und Sequel. Solange die Leute bereit sind, Kinokarten für "Iron Man 6" (in 3D), "The Abartig Amazing Spiderman" (in 3D), "Star Wars Episode 18: Jar Jar Binks’ Rache" (in 4D) oder "Die Abenteuer des Urgroßvaters von Stirb Langsam" zu bezahlen, laufen in Hollywood die Reste-Melk-Maschinen (inklusive Fanartikel, DVDs und Blue-Rays) weiter.

Am Ende der Show wird der grandiose "Birdman" zum besten Film des Jahres gekürt. Die rabenschwarze Komödie handelt, manche ahnen es bereits, vom Filmgeschäft. Am liebsten beschäftigt sich Hollywood nun mal mit sich selbst - und mit seinen Oscars. Das Fernsehen? Dem wird geschlossenen Auges gepflegt der Mittelfinger gezeigt, singend, tanzend und der Academy dankend.

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