Waldfriedhöfe: Ewig träumen unter Bäumen

2.9.2011, 09:59 Uhr
Waldfriedhöfe: Ewig träumen unter Bäumen

© dapd

Vor einem Jahrzehnt sah das noch ganz anders aus: Als am 7. November 2001 im nordhessischen Reinhardswald der erste deutsche Friedwald eröffnet wurde, war das Wagnis und skeptisch beäugte Sensation zugleich.

An diesem Sonntag wird das zehnjährige Bestehen der Friedhofsalternative mit einer Feierstunde zwischen den Baumriesen des Reinhardswalds begangen. „Das war eine absolute Pioniergeschichte damals“, erinnert sich Norbert Teuwsen, der als Forstamtsleiter in Reinhardshagen so etwas wie der Bürgermeister des größten geschlossenen Waldgebiets in Hessen ist.

„Zuerst habe ich gesagt: Wir sind doch keine Friedhofsverwaltung, sondern ein Forstamt.“ Doch nach und nach ließ er sich von den Gründern der privaten Friedwald GmbH für die Idee begeistern. Und er war bereit, das Experiment, das die engen Grenzen des deutschen Friedhofsrechts sprengte, gegen alle Widerstände durchzusetzen.

„Nach zehn Jahren wissen wir: Es war ein Volltreffer“, sagt Teuwsen heute. Die ersten Menschen, die sich für die Bestattung in kompostierbaren Urnen unter dem grünen Blätterdach interessierten, hätten davon nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. „Heute spannt man stolz die Hosenträger und verkündet: Ich hab einen Friedwaldplatz!“ Denn Naturgräber liegen im Trend: Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage, die die Friedwald GmbH in Auftrag gegeben hat, wünscht sich jeder vierte Deutsche eine Beisetzung im Wald oder auf See.

Im Reinhardswald schon 3.300 Bestattungen

Bundesweit betreibt das Unternehmen aus dem südhessischen Griesheim mittlerweile 41 Bestattungswälder, in denen schon 22.000 Menschen beigesetzt wurden. Fast 3.300 von ihnen liegen im Reinhardswald. Auf ihre Grabstätten verweist nichts außer einem kleinen Namensschild an dem Baum, den sie sich zu Lebzeiten meist noch selbst ausgesucht haben. Einziger Grabschmuck ist die Natur. „Viele Menschen wollen ihren Angehörigen die Friedhofspflege nicht mehr zumuten“, sagt Teuwsen. „Dafür ist der Friedwald perfekt – bei uns ist Grabpflege sogar verboten.“

 Mit einer Fläche von 116 Hektar umfasst der Friedwald nur einen Bruchteil des rund 200 Quadratkilometer großen Waldgebiets nördlich von Kassel. Dennoch wird der Platz hier noch lange reichen: Mehrere tausend Eichen und Buchen, aber auch Lärchen, Fichten, Kastanien oder Ebereschen stehen als letzte Ruhestätte bereit – markiert mit bunten Bändchen, die den Preis angeben.

 Für 770 Euro ist ein Platz unter einem „Gemeinschaftsbaum“ mit zehn Grabstellen zu haben. Ein „Partnerbaum“ für ein Ehepaar schlägt dagegen mit bis zu 6.350 Euro zu Buche. Doch auch „Freundschaftsbäume“ für größere Gruppen sind im Angebot: „Da möchte sich etwa eine Nachbarschaftsclique bestatten lassen, damit auch die Kinder und Angehörigen beim Trauern im Wald zusammenfinden“, berichtet Friedwald-Geschäftsführerin Petra Bach. „Und neulich hatten wir sogar einen Kajakverein mit einem solchen Anliegen.“

Kirche gibt Widerstand langsam auf

Das Geschäft läuft gut. Nicht ohne Grund haben sich viele Nachahmer gefunden – andere Privatunternehmen wie die Ruheforst GmbH aus dem nordrhein-westfälischen Hilchenbach, aber auch Kommunen, die Teile ihrer Friedhöfe für Naturbestattungen umgestalten. Sogar die Kirchen geben ihren anfänglich noch erbittert geführten Widerstand gegen die Friedhofsflucht langsam auf. Vor vier Jahren wurde auf dem Schwanberg in Unterfranken der erste evangelische Bestattungswald eingeweiht.

 „Der Friedwald hat unsere Bestattungskultur verändert“, sagt Reiner Sörries, Direktor des Kasseler Museums für Sepulkralkultur (Totenkult). „In den vergangenen zehn Jahren hat sich so viel getan wie zuvor in 50 Jahren nicht.“ Gleichwohl ist Sörries über den Trend zum Grab in der freien Natur nicht besonders glücklich. „Die Vermengung von Lebensraum und Totenraum finde ich trauerpsychologisch schwierig“, erklärt er. Und: Friedhöfe seien unverzichtbar, weil sie der Ort seien, an dem der Tod in der Gesellschaft präsent ist.

 Den Forstamtsleiter vom Reinhardswald ficht das freilich nicht an. Norbert Teuwsen will eines Tages auch selbst in seinem Wald bestattet werden. Die Eiche für sich und seine Familie hat er kürzlich gepflanzt.

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