Wie viel Schleier verträgt eine Kinderkrippe?

12.10.2010, 07:56 Uhr
Wie viel Schleier verträgt eine Kinderkrippe?

© dpa

Darf eine Betreuerin in einer privaten Kinderkrippe im Ganzkörperschleier? Ist es als Diskriminierung zu werten, wenn sie entlassen wird, weil sie sich weigert, ihr Kopftuch vor den Kindern abzunehmen? An einem arbeitsrechtlichen Konflikt in einer Einrichtung im französischen Chanteloup-les-Vignes hat sich erneut eine Debatte über die Grenzen für religiöse Symbole in der Öffentlichkeit in Frankreich entzündet, das seit mehr als hundert Jahren auf einem laizistischen Grundprinzip basiert, der strikten Trennung von Staat und Religion.

Der Streit zwischen der Kinderpflegerin Fatima Afif und der Krippen-Direktorin Natalia Beleato erscheint symptomatisch für den Dauer-Konflikt zwischen Laizität und freier Religionsausübung. Chanteloup-les-Vignes ist ein beispielhafter Schauplatz dafür. Die 10.000-Einwohner-Gemeinde gehört zu den ärmsten des Landes, ihre Arbeitslosen und die Kriminalitäts-Rate zu den höchsten, ebenso der Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund.

Interne Regelung sieht Religionsneutralität

Ausgerechnet hier entstand 1991 mit "Baby Loup" eine Kinderkrippe mit dem Ruf einer einmaligen Vorzeige-Einrichtung: Weil sie an sieben Tage in der Woche rund um die Uhr geöffnet ist, können vor allem alleinerziehende Mütter ihren Berufen nachgehen, auch wenn diese wenig familienfreundliche Schichten vorsehen. Gründerin und Direktorin Natalia Beleato gilt als energische Vorkämpferin für eine bessere Eingliederung von Frauen ins Arbeitsleben.

Die meisten der 18 Kinderpflegerinnen wurden ohne Qualifikation eingestellt und konnten mit Unterstützung von "Baby Loup" eine Berufsausbildung nachholen. Zu ihnen gehört auch die gebürtige Marokkanerin Fatima Afif, die es bis zur stellvertretenden Leiterin gebracht hat, trotz Spannungen mit Natalia, die auf ihrem islamischen Schleier besteht. Die interne Regelung sieht Religionsneutralität vor, nach dem Beispiel öffentlicher Schulen, wo seit 2004 ein Schleier-Verbot gilt.

2001 geht Fatima in Mutterschutz. Als sie nach sechs Jahren zurückkommt, schaukelt sich der Konflikt um sie ihr langes, verhüllendes Gewand, das nur noch das Gesicht freilässt, hoch und endet in Fatimas Entlassung im Dezember 2008. Fatima ruft die staatliche Antidiskriminierungs-Behörde Halde ("Haute Autorité de Lutte contre les Discriminations et pour l'Egalité") an - und bekommt Recht. Ihre Kündigung hänge nur mit ihrer Religion zusammen - und das sei Diskriminierung, heißt es.

Ein längst nicht gelöstes Problem

Eine juristisch verbindliche Entscheidung durch das Arbeitsgericht steht noch aus. Sollte es der Halde folgen und Fatima die von ihr geforderten 80.000 Euro Schadensersatz zusprechen, stünde die Krippe auf der Kippe - finanziell. Für Natalia tut sie das allerdings jetzt schon. "Selbst wenn wir gerichtlich gewinnen, haben wir das Gesetz des Viertels gegen uns", sagt sie, die vor einer schleichenden Islamisierung der Gemeinde warnt.

Längst haben sich zwei Fronten gebildet, der nicht nur den Ort, sondern auch die Elternschaft teilt. Die einen fordern, den Kindern nur noch islamisch statthaftes Halal-Fleisch anzubieten und zu den Gebetszeiten zu wecken, die anderen haben ein Unterstützungskomitee für Beleata gegründet.  Es ist eine Art Stellvertreter-Konflikt, dessen Bedeutung über sie hinausweist auf ein Problem, das Frankreich dem kürzlich beschlossenen Burka-Verbot in der Öffentlichkeit längst nicht gelöst hat.