100 Prozent Schulz: Jetzt will er das Kanzleramt erobern

19.3.2017, 18:30 Uhr
Ein Ende des Schulz-Rausches ist nicht in Sicht.

© AFP PHOTO / John MACDOUGALL Ein Ende des Schulz-Rausches ist nicht in Sicht.

War es der Schnupfen, der seine Augen rötete? Oder war es doch die Rührung? So ganz einfach konnte man diese Frage bei der Abschiedsrede des erkälteten SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht beantworten. Vielleicht stimmt ja auch beides. Es war jedenfalls nie ein Geheimnis gewesen, dass der 57-Jährige mit ganzem Herzen Parteichef war und auch gerne Kanzler geworden wäre. Stattdessen musste er nun Adieu sagen, um einem anderen Platz zu machen.

Einem Mann mit nicht mehr ganz modischer Brille und einem Bart, dessen Entfernung schon manche PR-Fachleute empfohlen haben. Einen Mann, der aber gar nicht daran denkt, solche Ratschläge zu befolgen. Martin Schulz.

Wieder mal hatte sich die SPD in der Treptower Arena für das Townhall-Format entschieden - also für eine Bestuhlung, bei der der Hauptredner nicht in Front zum Publikum steht, sondern ringsum von seinen Zuhörern umgeben ist. Dem neuen Hoffnungsträger kam das sehr gelegen, denn er kann es gar nicht oft genug sagen, dass er ein Mann des Volkes ist, dass er auf seinem Weg ins Kanzleramt alle mitnehmen will.

Keine neuen programmatischen Ansätze

76 Minuten dauerte seine erste längere Rede. Wer neue programmatische Ansätze erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Martin Schulz blieb bei den Stichworten, die er schon seit seiner Ausrufung Ende Januar in allen Reden untergebracht hatte - vor allem soziale Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Respekt vor der arbeitenden Bevölkerung. Details ersparte er sich und verwies auf eine entsprechende Veranstaltung der SPD im Juni.

Die größte Überraschung des Parteitags ereignete sich um 15.27 Uhr. Da wurde sein Wahlergebnis bekanntgegeben: 100 Prozent. Damit wurde Schulz endgültig zum Ausnahmephänomen in der  SPD-Nachkriegsgeschichte. Er schlug nicht nur den längstgedienten Vorsitzenden Willy Brandt (99,4 Prozent), sondern auch den bisher erfolgreichsten Parteichef Kurt Schumacher, der Ende der 40er Jahre zwei Mal nacheinander auf 99,7 Prozent gekommen war. Nur zur Erinnerung: Sigmar Gabriel war im Dezember 2015 noch mit 74,3 Prozent von der Basis gedemütigt worden.

Die einmalige, fast schon rauschhafte Vorgabe der Delegierten in der Treptower Arena ließ sich der neue Parteichef selbstverständlich nicht entgehen. Er sagte gleich danach, bei der Annahme der Wahl: "Ich glaube, dass dieses Ergebnis der Auftakt zur Eroberung des Kanzleramtes ist." Das ohnehin schon stark gewachsene Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten stieg noch einmal, das oft beschworene Ende des Schulz-Booms ist jedenfalls derzeit nicht in Sicht.

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