100 Tage und Schluss? GroKo-Zoff birgt Sprengstoff

22.6.2018, 13:19 Uhr
100 Tage und Schluss? GroKo-Zoff birgt Sprengstoff

© Gregor Fischer/dpa

In einem Punkt ist der CSU in ihrer Analyse zuzustimmen: Wir erleben momentan eine gewaltige Bewährungsprobe unseres Regierungssystems, es geht um Glaubwürdigkeit und um Vertrauen. Die Frage ist: Zieht die CSU, ziehen die Parteien die richtigen Schlüsse daraus? Lässt sich Vertrauen durch die Art und Weise zurückgewinnen, wie die CSU und damit auch diese Große Koalition Politik betreibt?

Massive Zweifel sind erlaubt. Nicht erst seit dem Unionskrach, der dieses Bündnis sprengen könnte. 100 Tage ist die GroKo nun im Amt. Ob sie weitere 100 Tage übersteht? Beobachter würden da keine größeren Geldbeträge wetten.

Es ist schwer vorstellbar, wie ein vernünftiges, sachliches Arbeitsklima herzustellen ist, ohne das ein Team nicht erfolgreich sein kann. Was da seit zwei Wochen an Derbheiten zu vernehmen war, offenbart einen Abgrund an Misstrauen innerhalb der Regierung selbst. Genauer: zwischen CDU und CSU.

Selbstverständlich muss das Themenbündel Asyl und Zuwanderung auf der Agenda der Koalition weit oben stehen. Aber bitte nicht mit jenem Alarmismus, der die aktuelle Debatte beherrscht. Die CSU tut so, als sei seit der Grenzöffnung 2015 nichts geschehen. Dabei gab es jede Menge Gesetzesverschärfungen - mit der Folge deutlich reduzierter Zugangszahlen. 

High Noon der Akteure

Angela Merkel hat diesen Kursschwenk mitvollzogen - sich aber nie dazu bekannt. Sie will das Image der humanitär reagierenden Kanzlerin behalten, das nicht mehr zu ihrer Politik passt. Die von ihr seit Jahren vergeblich angepeilte "europäische Lösung" würde ähnliche Inhalte liefern wie die "nationalen Lösungen" der CSU - mehr Kontrollen, mehr Zurückweisungen.

Was davon gelingt? Wir erleben es in einer Art High Noon der Akteure. Und zu hoffen ist, dass vorzeigbare Resultate herauskommen - bei den beiden Gipfeln an diesem und am nächsten Wochenende und all den informellen Gesprächen dazwischen. Dann und nur dann nämlich würden die Matadore einen Ausweg finden aus dem Showdown, den sie sich gerade liefern: Die Kanzlerin könnte sich als Hüterin des europäischen Gedankens präsentieren, die CSU als die Kraft, die diesen Prozess mit bayerischer Hemdsärmeligkeit erst richtig angestoßen hat - und dann fände diese Koalition hoffentlich die Zeit und die Kraft, die vielen sonstigen Aufgaben anzupacken, die liegen bleiben wegen der momentan manischen Fixierung aufs Thema Asyl. 

Es gibt auch andere Probleme

Denn es ist ja beileibe nicht so, dass dieses Land keine anderen Probleme hätte: Die Ökonomen schrauben ihre Prognosen herunter. Sieht aus, als gingen acht Jahre Wachstum zu Ende. Kein Wunder angesichts sich aufschaukelnder Handelskriege. Das heißt: Deutschland muss krisenfest(er) werden. Es braucht dafür eine stabile, besonnen handelnde Regierung: Man stelle sich vor, wie Populisten absahnen, wenn es der Republik wirklich schlecht(er) geht. Die Liste von nur mal angetippten Themen ist lang: Klima. Digitalisierung und ihre Folgen für den Arbeitsmarkt. Investitionsstau. Pflege. Wohnen - um nur die wichtigsten unbestellten Felder zu nennen.

Es gäbe viel zu tun. Und nur so, durchs Anpacken dieser Probleme, kann diese schwerst angeschlagene GroKo Vertrauen zurückgewinnen. Sie steht, ein altmodisches Wort, in der Pflicht. Alle Beteiligten haben es in der Hand. Wenn sie wollen, lassen sie den Asylstreit eskalieren: Die CSU kann Angela Merkel weiter beschädigen. Sie selbst trägt dazu bei, ist längst aufgrund eigener Versäumnisse zur Getriebenen, zur Bittstellerin in der EU geworden.

Und dann? Neuwahlen? Eine Minderheitsregierung ohne CSU? Einem Land voller unerledigter Herausforderungen drohte eine neue, vermutlich wieder lange Phase der Instabilität. Das müssen alle wissen, die nun volles Risiko fahren.

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