Aktion zum Frauentag: Naht das Ende des Patriarchats?

8.3.2019, 13:04 Uhr
Aktion zum Frauentag: Naht das Ende des Patriarchats?

© Foto: Anna-Zoë Herr/Bildbearbeitung: Bronislav Hava

Herr Herr, wer hat Sie zum Feministen gemacht?

Vincent-Immanuel Herr(lacht kurz auf): Tatsächlich waren es bei mir beide Elternteile. Vater und Mutter haben sich so bezeichnet, sie sind mit der Frauenbewegung groß geworden. Ich habe "Feminismus" also als positives und schönes Wort kennengelernt, das nichts weiter bedeutet als für eine Gesellschaft einzustehen, die Gleichberechtigung und Gerechtigkeit lebt.

Gemeinhin hat man das Gefühl, dass Feminismus gerade Hochkonjunktur hat. Sehen Sie das auch so?

Herr: Die Bewegung ist größer geworden, viele junge Frauen empfinden Feminismus als ihr Thema, gleichzeitig bleiben Feministen und Feministinnen immer noch eine Minderheit. Viele sehen den Begriff leider immer noch nicht positiv.

Was ist denn das Problem mit der Begrifflichkeit "Feminismus"?

Herr: Naja, oftmals ist es so, dass sich bei Nennung des Begriffs ein Schrecken einstellt. Viele denken dabei an Frauen, die Männer hassen, die Männern das Wasser abgraben wollen. Und es scheint, dass einige Männer mit solch starker Ablehnung reagieren, teils sogar Morddrohungen gegen Feministinnen auf Online-Portalen aussprechen, weil sie Angst vor Veränderungen, vor Verlust ihrer Position, vor Entmachtung haben. Eine norwegische Studie hat herausgefunden, dass beide Geschlechter von mehr Gleichberechtigung profitieren. Männer sollten im Feminismus also als eine Chance sehen – und nicht als Bedrohung.

Haben Sie selbst auch Anfeindungen durch ihre Aktivität oder das Label "Feminist" erfahren?

Herr: Für mich ist es als Mann oft leichter, das Thema bei anderen Männern anzubringen als für manche Feministin. Meistens sind die Reaktionen auf meinen Job eher positiv. Ich erzähle Ihnen von meinen Gesprächen mit Frauen zum Thema und mache das Warum deutlich. Gespräche untereinander sind immens wichtig. Nur so sinkt das Level für Anfeindungen.

Warum braucht die Sache der Frauen männliche Unterstützung?

Herr: Es geht nicht nur darum, die überfälligen Möglichkeiten für Frauen zu schaffen, sondern Mann muss auch andere soziale Fragen sehen und eingestehen. Es gibt nachgewiesene Zusammenhänge zwischen höherer Gleichberechtigung und wirtschaftlicher sowie politischer Stabilität. Feminismus zu fördern, kann aber auch ganz praktische Vorteile für die eigene Beziehung haben: Sie wird gesünder, ausgeglichener und insgesamt gerechter. Ich bin überzeugt, dass Geschlechtergerechtigkeit erst möglich wird, wenn die große Mehrheit der Gesellschaft an einem Strang zieht. Ich finde, das ist auch eine Frage auf moralischer und philosophischer Ebene: Wir selbst wollen ja auch nicht benachteiligt werden. Die Inklusion von Männern in den Feminismus ist also ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zum Ende des Patriarchats.

Warum, meinen Sie, sind wir nach so vielen Jahrhunderten noch nicht weiter? Frauen haben sich ja beispielsweise schon in der Französischen Revolution für Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit eingesetzt – und sind leer ausgegangen. . .

Herr: Das Patriarchat ist tausend Jahre alt. Es lebt von und mit gewissen Mechanismen, die nicht so schnell abzuschaffen sind. Vor 100 Jahren erhielten Frauen das Recht zu wählen. Wir sind einen weiten Weg gekommen, den wir weitergehen müssen. Männer müssen ihn als Weg verstehen, den sie mitgehen wollen.

Wie sähe die Welt aus, wenn Frauen längst gleichberechtigt wären?

Herr(schmunzelt): Sie wäre ein friedlicherer Ort, es würde weniger Ungleichheit geben, weniger soziale Konflikte. Ich stelle mir vor, die Welt wäre eine schönere und bessere.

Inwiefern kann man als Feminist sein tägliches Brot verdienen? Sie sind ja einer von wenigen Botschaftern der UN, die Gleichberechtigung befördern sollen. Denn Fakt ist: In keinem Land der Welt sind Frauen tatsächlich gleichberechtigt.

Herr: Es ist eher ein Hobby, wir begleiten die #HeforShe-Kampagne der UN ehrenamtlich als zwei von vier Botschaftern in Deutschland, neben unseren anderen Tätigkeiten als Aktivisten, Autoren, etc. Ich mache oder bin auf Veranstaltungen, betreue öffentliche Aktionen, stehe mit Feministinnen im Austausch und mit verschiedenen Bewegungen. Das Anführen sollen Frauen machen, wir Botschafter greifen ihnen unter die Arme. Es soll eine erste Ankerstation sein, bei der Mann lernen kann, wie es andere machen. Wir müssen Männer als Mitstreiter für Gleichberechtigung gewinnnen. Deswegen sind auch Männer wie wir als Botschafter dabei.

Was haben die Männer davon? Sie könnten ja auch einfach sagen: Das ist nicht mein Bier.

Herr: Einer der großen Punkte, statistisch gesehen, ist, dass Frauen in Machtpositionen im politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben weniger vertreten sind als Männer und damit auch wenig über die Laufrichtung der Gesellschaft entscheiden. Auch über Positionen in Aufsichtsräten beispielsweise entscheiden Männer für Männer. Es geht uns darum, Zugänge zu schaffen, wie damals vor 100 Jahren mit dem Frauenwahlrecht. Und darum, dass die breite Öffentlichkeit versteht, dass eine aktive Teilhabe von Frauen wichtig für das Land ist.

Nehmen wir uns einen Zeitstrahl von Anfang bis zur Erfüllung des Ziels "Gleichberechtigung von Frauen". Wo würden Sie Deutschland sehen?

Herr: Das ist eine echt spannende Frage. Ich denke, wir liegen etwas hinter der Mitte. Rechtlich gibt es eine Gleichstellung, das wird im Grundgesetz nicht angezweifelt. Im sozialen und kulturellen Bereich begegnen wir der #metoo-Debatte, der Sexismus hat großes Gewicht. Viele wissen nicht, wie groß dieses Thema ist und wie persönlich es wird: Eine von drei Frauen erfährt in ihrem Leben physische oder sexualisierte Gewalt. Das ist eine immense Zahl. Das klassische Rollenbild sieht Frauen nach wie vor zuhause und in der Kindererziehung. Auch kriegen Frauen in vielen Fällen weniger Lohn für gleiche Arbeit. Erst, wenn die Mehrheit eines Landes das Problem erkannt hat und den Sexismus herausfordert, dann wird die Gesellschaft gleichberechtigt sein.

"Männer sind Macher"

Männer sehen gerne, wie Frauen sich nackt auf schicken Autos räkeln und halten dieses Bild für ihr gutes Recht – andersherum ist das nicht realisierbar. Warum ist denn Sexismus so verbreitet?

Herr: Macht spielt dabei eine große Rolle. Ich denke, es ist die Art, wie wir Männer aufwachsen: in einem Umfeld, in dem schon früh sexistische Witze gemacht werden. Uns wird die Männerkultur eingebläut. Automatisch beteiligen wir uns. Das sind Kulturen, die über Jahrhunderte gepflegt wurden, wir sind mit Privilegien geboren, die wir selbstverständlich pflegen — eine sogenannte patriarchalische Dividende. Wir wachsen außerdem im Kontext auf, dass Männer die Macher sind. Es wird uns als normales Verhalten anerzogen. Der Schlüssel ist, diese sozialen Bilder aufzubrechen.

Was können denn Frauen echt besser als Männer?

Herr: Meine Verlobte schreibt ihre Doktorarbeit über Konfliktreglement auf der Welt. Es zeigt sich: Bei Streitigkeiten oder Kriegen ist in Friedensgesprächen die Anwesenheit von Frauen ein wichtiger Faktor. Dazu gibt es empirische Untersuchungen. Sozialer und politischer Frieden scheint also mit Frauen viel besser zu klappen als ohne sie.

Trauen sich Frauen echt zu wenig?

Herr: Wir alle sind ein Produkt der Art und Weise, wie wir aufwachsen. Frauen werden in der Männer dominierten Welt oft heruntergedrückt und hinterfragen sich vielleicht auch einmal, ob sie in einer Männerdomäne bestehen können. In öffentlichen Diskussion beobachten wir, dass viele Frauen nicht so zum Herausschreien und Herausposaunen neigen. Männer sind zuversichtlich, erlauben sich eine Meinung, auch wenn sie keine Ahnung haben. Einige Frauen, selbst wenn sie top qualifiziert sind, halten sich dann eher zurück. Unsere Sozialisierung spielt hier eine große Rolle.

Welchen Appel haben Sie als Feminist an Frauen – damit mehr Augenhöhe gegeben ist?

Herr: Wir Männer können Sexismus nicht verstehen oder erkennen, weil wir ihn in aller Regel selbst nicht erleben. Frauen sollten mehr mit uns über die Auswirkungen von Sexismus sprechen: Wie sich das anfühlt, wie häufig das passiert. Männer sollten, ja müssen, das erfahren: Auch von der eigenen Freundin oder von der Familie. Sexismus ist nicht weit weg, so gut wie keine Frau ist davon ausgenommen. Das muss aufs Radar rutschen.

Zum Interviewten:

Vincent-Immanuel Herr wird 1988 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur studiert er Geschichte, Soziologie und Politik in den USA und Deutschland. Mit Veröffentlichungen und Kampagnen engagiert er sich für viele politische und gesellschaftliche Fragen. Bekanntheit erlangt er als Teil des Autoren- und Aktivistenduo Herr & Speer mit der FreeInterrail Initiative, dem offenen Brief #EsIstZeit und seinem Engagement als Feminist. Seine Schwerpunkte sind Generationen- sowie Geschlechtergerechtigkeit. Für die Vereinten Nationen ist er als Botschafter der #HeforShe-Kampagne im Einsatz. Die Süddeutsche Zeitung zählt ihn 2017 zu den einflussreichsten Feministen im Land.

Männer sollten Feminismus als Chance sehen. Eine von drei Frauen erfährt in ihrem Leben sexualisierte Gewalt.

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