Befristungen bei der Post: Solidarität war gestern

17.5.2018, 13:02 Uhr
Befristungen bei der Post: Solidarität war gestern

© Jan Woitas/dpa

Wahrscheinlich kann man das so formulieren: "Unsere Mitarbeiter, die auch bei Wind und Wetter rausmüssen, brauchen eine gewisse körperliche Fitness", rechtfertigt Post-Personalvorstand Thomas Ogilvie in der Süddeutschen Zeitung die umstrittenen Befristungsregeln seines Unternehmens. Mit Sicherheit kann man es aber auch genau andersherum formulieren: Wer bei Wind und Wetter rausmuss, der darf auch mal krank werden. 

Doch es geht hier nur vordergründig um die Frage, wie viele Tage ein Arbeitnehmer nun krank sein darf, um einen unbefristeten Vertrag zu erhalten. Vielmehr sind die Regeln der Deutschen Post (die es, nebenbei bemerkt, in dieser Weise nicht nur dort gibt) ein Symptom für die schleichende Entsolidarisierung unseres Arbeitsmarktes, ja unserer Gesellschaft.

Realität in Deutschland ist: Viele Firmen zahlen Spitzenlöhne, ihre Personalabteilungen zerbrechen sich den Kopf darüber, mit welchen Freizeitangeboten und Zusatzleistungen sie den rarer werdenden Fachkräften ihr Unternehmen schmackhaft machen können. 

Realität in Deutschland ist aber auch: Millionen Menschen arbeiten für Niedriglöhne, verrichten ihre Arbeit auf Abruf und/oder unter prekären Bedingungen.

Die Spaltung zwischen Gutverdienern und Schlechtverdienern, zwischen Hochqualifizierten und Niedrigqualifizierten, die oft auch eine Spaltung zwischen körperlich belastbaren und gesundheitlich angeschlagenen Menschen ist, hat zugenommen.

Was das nun mit der Post zu tun hat? Ihre Regeln verschärfen diese Spaltung: Wer eine gute Konstitution hat, arbeitet schnell unbefristet. Wer öfters krank ist - Pech gehabt. Da muss man nicht einmal so weit gehen, dem Unternehmen zu unterstellen, es hege einen Generalverdacht gegen seine Mitarbeiter.

Anderen helfen - das wollen immer weniger

Unser Arbeitsmarkt, unser Sozialsystem sind auf Solidarität gebaut: Wer schwierige Phasen durchlebt, der kann auf die Unterstützung der Gesellschaft bauen. Die Bereitschaft, andere zu unterstützen, droht in Zeiten, in denen jeder sich selbst am nächsten ist (Zeiten, die viele "neoliberal" nennen), aber verloren zu gehen.

Befristungsregeln, die Krankheitstage zum Kriterium machen, stehen am Anfang dieses Entsolidarisierungs-Prozesses. An seinem Ende könnten Minderheitenpositionen - wie etwa die, Übergewichtige sollten doch bitte höhere Krankenversicherungsbeiträge zahlen - womöglich mehrheitsfähig sein. Wenn es erst einmal so weit ist, braucht von Solidargemeinschaft niemand mehr sprechen.

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