Beim Klimaschutz fehlt die Zeit für winzige Schritte

10.10.2018, 12:54 Uhr
Über zehn Stunden diskutierten die EU-Umweltminister um einen neuen CO2-Standard für Autos bis 2030.

© Oliver Berg, dpa Über zehn Stunden diskutierten die EU-Umweltminister um einen neuen CO2-Standard für Autos bis 2030.

Jetzt also doch: Nachdem Deutschland sich am Dienstagnachmittag noch gegen strengere CO2-Obergrenzen für Autoabgase sträubte, gab es am späten Abend dann einen (kleinen) Durchbruch: Die Minister der 28 EU-Mitgliedstaaten haben sich geeinigt, dass neue Autos bis 2030 35 Prozent weniger klimaschädliches Kohlenstoffdioxid ausstoßen müssen.

Es ist ein klassischer Kompromiss: Einige Staaten und auch das Europäische Parlament waren für eine Reduktion von 40 Prozent, andere für 35 Prozent. Auf der Gegenseite stand, fast allein, neben einigen Ost-EU-Staaten mit deutlich schwächerer Wirtschaft: Deutschland.

Demokratie geht nicht ohne Kompromisse

Maximal 30 Prozent konnte man sich in Berlin vorstellen. Und auch das war bereits ein Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD. So musste die sozialdemokratische Bundesumweltministerin in Luxemburg gegenüber ihren Kollegen bremsen, obwohl sie selbst sich mehr Engagement für den Klimaschutz gewünscht hätte.

So funktioniert Demokratie in Deutschland und Europa (mit Ausnahmen wie dem einsamen Ja zu Glyphosat eines CSU-Landwirtschaftsministers). Daran ist an und für sich auch nichts Schlechtes, denn ohne Kompromisse geht es nicht: weder in einer Koalition, noch in der EU und auch nicht im Alltag von Millionen Bürgern - man denke nur an die eigene Familie.

Erderwärmung bremsen: Die Zeit läuft uns davon

Das Problem ist: Beim Klimaschutz fehlt der Menschheit die Zeit für solche winzigen Schritte. Das Ziel der internationalen Gemeinschaft ist es offiziell, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad bis 2100, besser aber 1,5 Grad zu begrenzen (ebenfalls ein Kompromiss nach zähen Verhandlungen; gerade Inselstaaten, die im Meer zu versinken drohen, hatten sich mehr erhofft). Wissenschaftler warnen nach Auswertung Tausender Studien, dass es dafür schon fast zu spät ist, dass der Ausstieg aus fossilen Energieträgern so bald wie möglich kommen muss.

Dafür reichen 30 Prozent weniger CO2 bei neuen Autos bis 2030 (!) nie und nimmer, vor allem, wenn die Zahl der Pkw weiter steigt. Zuletzt war der Straßenverkehr laut EU-Kommission für 22 Prozent aller Treibhausgase der Union verantwortlich, seit 1990 sei der Anteil stetig gestiegen statt geschrumpft.

Doch die Große Koalition, insbesondere die Unionsparteien, sorgt sich immer noch deutlich mehr um die Quartalsgewinne von Automobil-Konzernen (was aus Politik-Logik kurzfristig auch durchaus Sinn macht: Es arbeiten nun mal sehr, sehr viele Wähler im Kraftfahrzeugbereich).

Gerichte sorgen für mehr Gesundheits- und Klimaschutz

Da von der Politik hier erst einmal wenig zu erwarten ist, ist es umso wichtiger, dass andere Akteure die Daumenschrauben anziehen: Viele Erfolge feiern zurzeit Umweltschutzorganisationen, die vor Gericht für bessere Luft in den Städten (Diesel-Fahrverbote) und mehr Klimaschutz (Weg von der Verbrennung von Öl und Kohle) streiten - und oft Recht bekommen. Zuletzt hat ein Gericht in Berlin entschieden, dass die Gesundheit von Stadtbewohnern vor freier Fahrt für Diesel-Schmutzschleudern geht.

Und in den Niederlanden bestätigten Richter gerade erst, dass die Regierung für einen deutlich größeren CO2-Rückgang sorgen muss als bislang geplant. "Heute wurde Klimageschichte geschrieben", kommentierte dieses Urteil ein Greenpeace-Vertreter. Gut möglich, dass auch die deutsche Bundesregierung demnächst vor Gericht steht - und dass sie dort in Sachen Klimaschutz unterliegt. Es ist peinlich für Regierungen, dass sie von der Justiz zum CO2-Jagen getragen werden müssen. Für jeden, dem die nachfolgenden Generationen bei uns, aber auch weltweit, nicht völlig schnuppe sind, ist es indes ein Hoffnungsschimmer.

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