Belgien darf nicht trauern - Brüssel in Schockstarre

26.3.2016, 19:21 Uhr
Rettungskräfte gedenken am Freitagabend im Brüssel der Opfer der verheerenden Attentate. Ein Gedenkmarsch mit bis zu hunderttausend Teilnehmern wurde derweil abgesagt.

© dpa Rettungskräfte gedenken am Freitagabend im Brüssel der Opfer der verheerenden Attentate. Ein Gedenkmarsch mit bis zu hunderttausend Teilnehmern wurde derweil abgesagt.

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Belgien darf nicht trauern. Dabei sollte es einer der größten Gedenkmärsche werden, den Brüssel je erlebt hat: Bis zu hunderttausend Menschen wollten sich am Ostersonntag in der belgischen Hauptstadt versammeln, um gegen den Terror zu demonstrieren.

Doch vier Tage nach den Anschlägen vom Dienstag sagten Belgiens Innenminister Jan Jambon und der Brüsseler Bürgermeister Yvan Mayeur am späten Samstagnachmittag die Veranstaltung ab: "Wir verstehen natürlich die Gefühle der Bevölkerung. Aber wir wollen, dass die Demonstrationen um einige Wochen verschoben werden", erklärten die Politiker und begründeten ihre Absage mit der Überlastung der Polizei.

Die Veranstalter willigten ein. Allerdings dürfte der wahre Grund die nach wie vor hohe Gefahr durch nicht identifizierte Terroristen sein. Obwohl der Polizei offenbar ein Durchbruch gelungen ist. Wie aus Sicherheitskreisen zu hören war, konnte eine Anti-Terror-Einheit den flüchtigen Flughafen-Attentäter Faycal Cheffou festsetzen.

Er war auf dem Fahndungsfoto als "der Mann mit dem Hut“ und einer hellen Jacke zu erkennen gewesen. Bei einer Gegenüberstellung habe der Taxifahrer, der das Terror-Kommando von seiner Wohnung zum Airport gefahren hatte, ihn "eindeutig identifiziert", hieß es am frühen Abend.

Auf dem Bild war Cheffou neben dem 24-jährigen Najim Laachraoui und dem 29-jährigen Ibrahim El Bakraoui zu sehen, die beide durch ihre Bomben ums Leben kamen. Cheffou hatte sich in letzter Sekunde anders entschieden, seinen Sprengsatz zurückgelassen und war geflohen. Der Koffer mit der Bombe wurde später von Spezialisten kontrolliert gezündet.

Dieser Fahndungserfolg dürfte vor allem deswegen bedeutsam sein, weil der Verdächtige lebend gefasst wurde und damit der bislang einzige Extremist ist, der über die Anschläge befragt werden kann. Ein weiterer Terrorist, der an dem Anschlag auf die Metro beteiligt war, ist offenbar noch flüchtig.

Wachmann vor Atomkraftwerk erschossen

Bei den Razzien am Freitag verhafteten die Sicherheitsbeamten insgesamt acht Verdächtige. Wie angespannt die Lage in Brüssel derzeit ist, veranschaulicht ein weiterer Zwischenfall vom Samstag. Die belgische Zeitung "La Dernière Heure" hatte berichtet, dass am Donnerstagabend ein Wachmann des Kernkraftwerkes Tihange bei seinem Rundgang erschossen und sein Zutrittsausweis entwendet worden sei.

Die Nachricht verbreitet sich blitzschnell und sorgte für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung, schien sie doch die Spekulationen zu bestätigen, dass die Terroristen einen Anschlag auf einen Atommeiler geplant hatten. Wenige Stunden später dementierte die Staatsanwaltschaft allerdings, dass es zwischen der Ermordung des Mannes und den Terror-Anschlägen einen Zusammenhang gebe.

Die Nervosität in der Stadt war am Samstag vor Ostern deutlich zu spüren. Dass Brüssels Einkaufsstraßen zeitweise wie ausgestorben wirkten, lag keineswegs nur an den Schulferien, die am Samstag begannen. "Natürlich müssen wir weiterleben. Aber alle haben Angst – vor dem ersten Gang in die Stadt, vor der ersten Fahrt mit der Metro, vor der Konfrontation mit den Spuren der Anschläge", beschrieben Bürger im belgischen Fernsehen ihre Empfindungen.

Hinzu kommt die wachsende Verärgerung über drastische Fahndungspannen. Inzwischen wurde auch offiziell bestätigt, dass ein belgischer Verbindungsbeamte in Istanbul eine Warnung der türkischen Behörden vor dem Terroristen Ibrahim El Bakraoui, der eine der Bomben am Flughafen zündete, nicht nach Brüssel weitergab.

Der US-Fernsehsender CNN berichtete darüber hinaus, dass El Bakraoui schon vor den Attentaten in Paris von den amerikanischen Geheimdiensten als potenzieller Selbstmordattentäter geführt wurde. Sollte sich diese Meldung als richtig herausstellen, wäre dies ein fatales Zeugnis für die Behörden vor Ort. Der Ruf nach politischen Konsequenzen für die Regierung von Premier Charles Michel wird immer lauter.