Bremer Asylaffäre: Seehofer früher informiert als behauptet

14.5.2018, 18:45 Uhr
Bremer Asylaffäre: Seehofer früher informiert als behauptet

© Andreas Gebert/dpa

Horst Seehofer war durchaus angetan. Er stand neben Jutta Cordt im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), rund ein Dutzend Kameras waren auf ihn gerichtet. Seehofer trat an diesem 6. April 2018 ans Pult und begann mit einer Lobeshymne. "Das Bamf hat eine Schlüsselfunktion in der Bewältigung all der Fragen, die mit der Migration in Deutschland zusammenhängen", sagte der frischgebackene Bundesinnenminister. Und: "Hier wird hervorragende Arbeit geleistet."

Dabei wusste Seehofer zu diesem Zeitpunkt wohl schon Bescheid über einen der größten Asylskandale, die es in Deutschland bisher gegeben hat – das zeigen Recherchen der Nürnberger Nachrichten und der Wirtschaftswoche. Mehrfach wurden Hinweise zur Affäre um zu Unrecht bewilligte Asylanträge in der Bamf-Außenstelle in Bremen an ihn adressiert. Gleichzeitig behauptete das Bundesinnenministerium zunächst, erst am 19. April von den Vorgängen erfahren zu haben - nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hatte. 

Alte Kontakte zur CSU

Whistleblowerin ist Josefa Schmid, die seit Anfang 2018 die Außenstelle leitete. Sie entdeckte Unregelmäßigkeiten in Bremen und massenhafte unrechtmäßige Asylanerkennungen wohl durch die frühere Außenstellenleiterin Ulrike B. Schmid versuchte verzweifelt, ihre Vorgesetzten darauf aufmerksam zu machen. Als ihre Bemühungen, die Bamf-Leitung zu alarmieren, scheiterten, ließ sie ihre alten Kontakte zur CSU spielen.

Schmid kandidierte für die Partei 2004 als Landtagskandidatin, kennt die CSU-Spitze gut aus diesen Tagen. Trotz ihrer Beziehungen: Gehör fand sie nicht. Auch nicht bei Seehofer.

Das geht aus mehreren Schreiben hervor, die den Nürnberger Nachrichten und der Wirtschaftswoche vorliegen, darunter auch ein Mailverkehr mit Seehofers engsten Mitarbeitern sowie ein auf den 13. Mai datiertes und an Seehofer adressiertes Fax, in dem Schmid die Vorgänge deutlich beschreibt. 

Den Unterlagen zufolge versuchte Schmid das erste Mal am 1. März Kontakt aufzunehmen. Sie schickte eine Mail an Seehofers persönliche Adresse in der Staatskanzlei; Betreff: "Bitte um kurzen persönlichen Gesprächstermin in München." Unterlagen werde sie zum Termin mitbringen. Auch ihre Mobilnummer gab Schmid an. Seehofers Mitarbeiterin antwortete: "Wir werden Ihren Gesprächswunsch dem Ministerpräsidenten unterbreiten." Am 7. März hakte Schmid nach, bat wieder um ein Gespräch "im Zusammenhang mit meinem derzeitigen Spezialauftrag in Bremen". 

Mitte März, Seehofer war von der Staatskanzlei ins Bundesinnenministerium (BMI) gewechselt, schrieb sie ihn in seiner neuen Funktion an. Unter "Vertraulich - ohne Einhaltung des Dienstweges" bat sie erneut um zeitnahe "persönliche Vorsprache". Auch mit seinem Büro in Berlin redete sie mehrfach, sprach nach eigenen Angaben bewusst vom "größten Flüchtlingsskandal der Republik", nannte konkret die Bremer Vorfälle. Rückmeldung bekam sie nicht. 
Auf Anfrage räumte eine Sprecherin des BMI ein, Schmid habe sich bereits am 14. März telefonisch um einen Termin bei Seehofer bemüht. Gegenüber unserer Zeitung wollte Schmid dies nicht kommentieren.

Sodann versuchte sie, den damaligen bayerischen Landwirtschaftsminister Helmut Brunner als "Türöffner" zu nutzen, um einen Termin bei Seehofer zu bekommen, ebenso den niederbayerischen Landtagsabgeordneten Max Gibis. Schmids Motivation: Sie sei sich sicher gewesen, "dass dies absolute Chefsache für Sie sein müsste", heißt es im Schreiben vom 13. Mai an den Bundesinnenminister.

Bevor der Bremer Asylskandal an die Öffentlichkeit gelangen würde, hofften sie und Kollegen, dass Seehofer "Führungskompetenz und Krisenmanagement" zeigen würde. Doch: "Leider wurden wir nicht erhört." Daraufhin kontaktierte sie Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU). Diesmal kam ein Rückruf. Mayer bat, ihm ihre Erkenntnisse zu schicken. Es entstand ein 99-seitiger Bericht, der die Vorgänge in Bremen detailliert schildert. Nach der Lektüre ist klar, dass es sich nicht um ein paar Unregelmäßigkeiten, sondern um einen handfesten Skandal handelt. Schmid schreibt von "mindestens 3332 unzulässigerweise in Bremen bearbeiteten Asylanträgen". 

Keine Rückmeldung

Sie schickte den Bericht am 4. April ab, Mayer habe ihr "verbindlich" zugesichert - so schreibt sie nun an den Bundesinnenminister -, seinen Vorgesetzten Seehofer vor dessen Antrittsbesuch beim Bamf am 6. April zu informieren. Ein Feedback bekam Schmid wieder nicht. Stattdessen musste sie in Medien lesen, wie Seehofer das Bamf lobte. Das BMI erklärte nun auf Anfrage, die Aufklärung der Vorgänge um die Bremer Bamf-Außenstelle habe für das Ministerium hohe Priorität. Auch die Erkenntnisse von Josefa Schmid würden "selbstverständlich" in die Aufklärung mit einbezogen. Für sie war es das vorläufige Ende diverser Versuche, den Bremer Skandal innerhalb des Dienstweges zu melden. Bevor Josefa Schmid den Weg über Seehofer suchte, hatte sie amtsintern Alarm geschlagen. Sie muss ursprünglich geglaubt haben, auf offene Ohren zu stoßen. Denn von der Amtsspitze wurde ihr nach Informationen der Nürnberger Nachrichten zum Antritt aufgetragen, die überdurchschnittlich hohe Anerkennungsquote in Bremen zu senken. Diese Zahlen, so Experten, waren ein Indikator für einen möglichen Betrug in Bremen. Ende Februar schickte Schmid auch einen ausführlichen Bericht an die Amtsleitung. Ohne Resonanz. 

Ähnlich ging es anderen, die im Asylamt Alarm schlugen: Erste Hinweise gab es schon 2014, Ermittlungen gegen die ehemalige Außenstellenleiterin Ulrike B. schlossen sich an. Doch trotz eines Disziplinarverfahrens konnte sie noch jahrelang unrechtmäßige Bescheide ausstellen.

Im Führungsteam

Besonders schwerwiegend ist eine Mail, die ein leitender Beamter aus Bremen im Juli 2017 an die Bamf-Führungsspitze sandte. Auch sie liegt den Nürnberger Nachrichten vor. In Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Fällen sei es zu unregelmäßigen Asylanerkennungen gekommen, schreibt der Mitarbeiter an Rudolf Knorr. Knorr ist Leiter des operativen Bereichs und einer der wichtigsten Männer in der Zentrale. Er zählt mit Bamf-Präsidentin Jutta Cordt zum vierköpfigen Leitungsbüro der Behörde. Spätestens da hätte das Bamf gegen Ulrike B. vorgehen müssen. Doch erst im Oktober stellte das Amt Strafanzeige. Und das, so zeigen Recherchen, erst, als ein weiterer Mitarbeiter dies unmissverständlich einforderte.

Immer wieder zeigt sich: Das Amt wollte scheinbar nichts von Missständen hören. Im Gegenteil: Kritiker wurden abgestraft. Sie sei von
der Bamf-Hausleitung nach ihrem Bericht an Staatssekretär Mayer in "großer feindseliger Gesinnung attackiert" worden, schreibt Josefa Schmid an Seehofer. Inzwischen wurde sie nach Deggendorf versetzt - man wolle sie vor der öffentlichen Berichterstattung schützen, heißt es bei der Behörde.

Schmid wehrt sich dagegen, sie wolle stattdessen weiter in Bremen bei der Aufklärung mitwirken, schreibt sie an Seehofer. Bamf-intern ist von einer Strafversetzung die Rede. Man wolle Schmid kaltstellen, heißt es. 
Ähnliche Erfahrungen machte ein anderer Mitarbeiter: Er hatte intern immer wieder auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Er wurde Mitte Mai von der Bamf-Leitung gegen seinen Willen nach Oldenburg versetzt. "Unliebsame Mitarbeiter sollen zum Schweigen gebracht werden", sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will. "Es wird versucht, Kritik zu unterdrücken." 

Dieses System hat den Bremer Asylskandal erst möglich gemacht - mit fatalen Konsequenzen: Durch das Bremer "Schlupfloch", schreibt Josefa Schmid an Horst Seehofer, seien auch "Intensivstraftäter aus der organisierten Kriminalität und Gefährder in unser Land" gekommen. 

 

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