David Garrett begeisterte in der Arena

17.11.2010, 06:55 Uhr
David Garrett in der Nürnberger Arena.

© Karlheinz Daut David Garrett in der Nürnberger Arena.

Sie alle werden umarrangiert, elektrifiziert, in ein Stahlbad krachenden Rock’n’Rolls getunkt und mit der Glasur eines Sinfonie-Orchesters überzogen. Das Ergebnis nennt sich dann „Rock-Symphonies“.

Das kann man mögen oder auch nicht. Den Begriff „Crossover“ mag man an David Garretts und seines Co-Autors Franck van der Heijdens Arrangierkünsten nicht anlegen, da hat ein John McLaughlin in den Siebziger Jahren ganz andere Maßstäbe gesetzt. Und der Skandal des Bilderstürmens, wenn sich ein Virtuose an den heiligen Kühen der klassisch-romantischen Musik vergreift, ist längst der allgemeinen Akzeptanz gewichen. Garrett versteht sein Handwerk. Bloß – es bleibt alles Oberflächenglanz.

Das zeigt sich bereits an der Eröffnung, Led Zeppelins „Kashmir“. Während das Orchester vor sich hin sägt, spaziert Garrett wie der Geiger eines Tanzcafés fiedelnd durch die Reihen, erklimmt die Bühne und beendet die Nummer. Der Wiedererkennungseffekt der Musik stellt sich sofort ein, doch das Hypnotisch-Suggestive, das dieser Song ausstrahlt, verflüchtigt sich in mechanischem Getöse.

„Oh let the Sun beam down my Face, Stars fullfill my Brain“, sang einst Robert Plant in „Kashmir“. Statt Sonnenstrahlen knallen Laserbeamer in die Gesichter des Publikums und Sternchen tanzen uns oft genug vor den Augen. Die Show ist eine Wucht, an Pyrotechnik wird nicht gespart: Feuerbälle eruptieren von der Bühne, Lamettaschlangen ergießen sich über die Reihen, Schriften wie von Geisterhand gemalt wabern über den Köpfen, und über allem strahlt Garretts Gesicht in Großaufnahme auf dem runden Videoschirm. Und sein Gesicht verrät: Der Mann hat tierischen Spaß an der Sache. Der strahlt eine Musizierfreude aus, die vor keiner Unbedenklichkeit zurückscheut. Da wechselt Filmmusik (Mission Impossible) mit Czárdás, da frösteln Songs von U2 in Vivaldis „Winter“, da verausgabt sich Garrett an Sarasates kniffligen Fingerbrechern und entspannt sich hernach bei simplen Status -Quo-Akkorden.

Das Angebot hält für jeden etwas bereit, aber der Hörer muss schon tief in der Wundertüte voll optisch-akustischer Pyrotechnik wühlen, um auf ein Stück zu stoßen, das ihm speziell liegt. Obwohl sich auf Dauer alles gleich anhört und selten die Fünfminuten-Grenze überschreitet. Alles strotzt vor Kraft und Energie. Garretts Stärke ist die Rasanz, der halsbrecherische Parforceritt auf dem Griffsteg (den das Publikum per Headset-Kamera aus des Meisters Perspektive mitverfolgt), auch die bombastische Aufbereitung quasisinfonischer Filmmusik kommt ihm entgegen. Wenn aber gelegentlich leisere Töne anklingen, rutscht Garrett schnell ins Gefühlig-Belanglose ab. Selbst die Kratzbürste „November Rain“ von Guns’n’Roses degeneriert zum Weichspüler.

Doch der Deutsch-Amerikaner Garrett, der eigentlich Bongartz heißt, gibt sich nicht als unnahbarer Virtuose, der jetzt allen zeigt, was er mit einer Stradivari anzustellen vermag. Gerade noch über dem Orchester schwebend, verwandelt sich Garrett in den netten Herrn Bongartz von nebenan. Bereitwillig plaudert

er von vertauschten Hotelzimmerschlüsseln und unbequemen Betten, beichtet, wie er als 17-Jähriger aus der Disco flog, und setzt sogar die Hornbrille aus Kindertagen auf.

Das Publikum zollt bereitwillig seine Anteilnahme und erkennt sich in Garretts Pleiten und Pannen wieder. Dem David nehmen alle ab, dass auch er nur mit Wasser kocht. Falls er als Stehgeiger sein Taschengeld in der Fußgängerzone aufbessern würde, es würde keinen überraschen. Selbst angesichts der Hornbrille seufzt eine Bewunderin hinter uns: „Einen schönen Mann kann nichts entstellen!“

Mit dieser Einstellung hat Garrett bei den Franken gewonnenes Spiel, gibt er seinem Affen Zucker und

der Band Saures. Nur den „Hummelflug“ in 65 Sekunden bleibt Garrett an diesem Abend schuldig. Dafür liefert er eine derart apokalyptische Version von Metallicas „Master of Puppets“, dass selbst beinharten Metalfreaks die Nieten aus der Jacke fliegen. Vielleicht sollte jemand David Garrett ein paar Scheiben von Iron Maiden unter den Weihnachtsbaum legen.