Debakel: Der Himmel über CSU-Bayern verdunkelt sich

24.9.2017, 20:54 Uhr
Debakel: Der Himmel über CSU-Bayern verdunkelt sich

© Peter Kneffel/dpa

Nur nicht zu siegesgewiss sein. Das hatten sie sich in der Union geschworen. Trotz des Dauer-Vorsprungs vor der SPD in den Umfragen, trotz der demonstrativ unerschütterten Kanzlerin. Dass es so heftig kommt, schlägt dann aber doch ein wie ein Blitz. Auf das schlechteste Ergebnis in der zwölfjährigen Ära Angela Merkel rutschen CDU und CSU am Sonntag in Hochrechnungen ab. Für die CSU ist es gar das schlechteste Bundestagswahl-Ergebnis seit 1949. Trotzdem meldet die Union als klar stärkste Kraft schnell wieder ihren Regierungsanspruch an. Doch wie unangefochten kann Merkel Kurs auf eine vierte Amtszeit nehmen?

Als die Kanzlerin eine Dreiviertelstunde nach der ersten Prognose ins Foyer das Konrad-Adenauer-Hauses kommt, branden rhythmische "Angie"-Rufe auf. "Natürlich hatten wir uns ein wenig ein besseres Ergebnis erhofft", lautet Merkels Beschreibung für das herbe Minus. Mit ihr stehen mehrere CDU-Spitzenleute auf dem Podium. Aber es ist natürlich gar kein Vergleich mit dem ausgelassenen Jubel vor vier Jahren, als die Union mit 41,5 Prozent triumphierte. "An Tagen wie diesen", röhrte Fraktionschef Volker Kauder ins Mikrofon. Damals.


Karte: Das sind die Ergebnisse aus den Wahlkreisen


Die herben Verluste verdunkeln nun abrupt die Stimmung. War Merkels gewohnter Titelverteidiger-Wahlkampf diesmal zu defensiv? War es die Flüchtlingspolitik, die zu viele in den eigenen Reihen von der Kanzlerin entfremdete? Dabei hatte das Reizthema lange keine sehr prominente Rolle im Wahlkampf gespielt. Die Kanzlerin sprach meist nur davon, dass sich "das Jahr 2015" nicht wiederholen solle. Bei großen Kundgebungen schlugen ihr teils wütende Proteste entgegen. Auch aus Gruppen, die zu "Hau-ab"-Rufen Plakate der AfD schwenkten.

In ersten Erklärungsversuchen verweisen CDU-Politiker darauf, dass die Wahl vielen Anhängern entschieden schien, so dass sie zu Hause blieben. Merkel will aber doch festhalten, dass das strategische Ziel erreicht sei: Dass gegen die Union nicht regiert werden kann. Und das sei nach zwölf Regierungsjahren nicht selbstverständlich.

Gespräche "mit anderen Partnern"

Erst nach einigem Zögern hatte Merkel im November verkündet, es noch einmal wissen zu wollen. Mit dem Bonus ihrer großen Erfahrung in unruhigen Zeiten. Und der Ambition auf 16 Amtsjahre, wie bisher nur CDU-Rekordkanzler Helmut Kohl verbucht hat. Nun wanderten nach Analysen der Wahlforscher erhebliche Wählerstimmen von der Union zur AfD. Diese Wähler wolle man künftig zurückgewinnen, sagt Merkel vorerst dazu.

Inhaltlich ist vieles offen, wenn es um eine Regierungsbildung geht. Nun werde man Gespräche "mit anderen Partnern" ins Visier nehmen, formuliert es Merkel maximal offen. Rote Linien zog sie vorab keine. Nach den Hochrechnungen blieben allein eine mutmaßlich komplizierte Jamaika-Konstruktion mit Grünen und FDP und die - von der SPD sogleich ausgeschlossene - schwarz-rote Koalition.

Jamaika wäre nicht nur inhaltlich schwierig, sondern brächte auch personelle Unwägbarkeiten mit sich. Was etwa würde aus Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), wenn FDP oder Grüne das Ressort für sich beanspruchen würden?

Und dann ist da ja auch noch die CSU, mit der sich Merkel auf neuer Basis zusammenfinden muss. Im Wahlkampf hielt die mühsam gefundene Eintracht, nachdem CSU-Chef Horst Seehofer in Sachen Asyl zuvor bittere Kämpfe ausgefochten hatte. Nun aber brodelt es bei den Bayern.

Für Seehofer steht fest: Wenn er zu den Koalitionsverhandlungen nach Berlin fährt, sollten sich alle anderen warm anziehen. Er werde keine "falschen Kompromisse" akzeptieren und alles geben, um die Inhalte des Bayernplans durchsetzen, betont er und erntet dafür "Bravo, bravo"-Rufe in der Münchner CSU-Zentrale. Seine erste Analyse für die "herbe Enttäuschung": Man hatte eine "Flanke auf der rechten Seite, eine offene Flanke". Diese müsse nun geschlossen werden "mit klarer Kante und klaren politischen Positionen".

Im Klartext heißt dies: Auf eine wie auch immer geartete Kompromissbereitschaft der CSU etwa beim Dauerstreitthema Obergrenze sollte niemand hoffen. Auch beim Personalpoker dürfte Seehofer nun noch vehementer als ohnehin auf das Bundesinnenministerium pochen.

Doch Seehofer ist schon zu lange im Geschäft, als dass er nicht weiß, dass nun auch die Jagd auf seine Person begonnen hat. Gerade in der CSU kann die Stimmung gegen einen Parteichef nach Wahlpleiten schnell umschlagen. "Wer will, kann gerne über mich diskutieren oder zu weiteren Taten schreiten", spricht Seehofer dann auch im ersten TV-Interview nach der kurzen Rede die mögliche Personaldebatte selbst an. Niemand weiß besser als Seehofer selbst, dass er in der CSU mindestens so viele Kritiker hat wie Unterstützer, eher mehr.

Rücktrittsgedanken hat Seehofer aber offenbar nicht. "Ich bin dazu bereit", sagt Seehofer im BR-Fernsehen auf die Frage, ob er weiter an der Parteispitze stehen wolle. Schützen dürften Seehofer trotz des historisch schlechten Ergebnisses mindestens zwei Dinge: Schon in einem Jahr steht in Bayern die Landtagswahl an. Ein Machtwechsel so kurz vor der Wahl würde nicht nur innerparteilich viel Unruhe mit sich bringen und könnte die CSU viele Stimmen kosten. Zudem könnten potenzielle Nachfolger davor zurückschrecken, sich selbst beim Urnengang in einem Jahr die Finger an der AfD zu verbrennen.

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