Der Antrag Ein Urteil, das auf lückenhaften Erkenntnissen fußt

26.2.2017, 18:04 Uhr
Der Antrag Ein Urteil, das auf lückenhaften Erkenntnissen fußt

© Foto: Kasperowitsch

Das Fazit fällt für die Verantwortlichen vernichtend aus. In dem Verfahren von 1996 um ein blutiges Kapitalverbrechen mit Mord und Totschlag seien selbst aktenkundige Tatsachen nicht berücksichtigt worden, die Ermittlungsbehörden hätten "manifeste Hinweise" auf andere mögliche Tatabläufe und Verdächtige sträflich außer Acht gelassen. Und durch Drohungen bei der polizeilichen Vernehmung und Drängen des Staatsanwalts sei ein "offenkundig falsches Geständnis" herbeigeführt worden.

Das geht aus dem 134 Seiten umfassenden Wiederaufnahmeantrag des Nürnberger Strafverteidigers Malte Magold hervor. Er will damit erreichen, dass das Verfahren gegen seinen Mandanten Matthias Frey neu aufgerollt wird. Außerdem soll die weitere Vollstreckung der lebenslangen Haftstrafe "unverzüglich" unterbrochen werden.

Zu dem damals abgelegten Geständnis, auf das sich das Gericht hauptsächlich stützte und das Frey unmittelbar nach dem Urteil widerrief, habe ihm sein damaliger Anwalt dringend geraten. Nur so sei eine mögliche Straferleichterung zu erwarten. Ein "unverwertbares Formalgeständnis" nennt man das in der Juristensprache.

Unverhohlene Drohung

Magold begründet seine Einschätzung mit zahlreichen Stellen aus den alten Vernehmungsprotokollen. "Du bist unter Tatverdacht. Da finden wir jederzeit einen Richter der dich einsperrt. Ist gar kein Problem", drohte demnach ein Polizist Frey. Der Beamte forderte von dem Beschuldigten geradezu ein falsches Geständnis mit den Worten, dieser solle endlich zugeben, "nichts drum rum und nicht was du gesehn hast".

Und der Inhalt der Protokolle bestätigt sogar die Beteiligung einer weiteren Person an der ersten Tat: "Wir wissen viel mehr . . . Es war schon noch einer dabei, aber net so, wie du es erzählt hast. Ganz anders." So ist das schriftlich festgehalten.

Dies ist nach Ansicht Magolds eine Täuschung und somit, wie andere Vorgehensweisen, die er auflistet, eine verbotene Vernehmungsmethode. Schon dieses Geständnis habe deshalb vom Gericht keinesfalls der Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden dürfen.

Ein weiterer Kernpunkt, auf den sich der Anwalt in seinem Wiederaufnahmeantrag stützt, ist der angeklagte Tathergang. Der decke sich nämlich nicht mit den Obduktionsergebnissen der Leichen. In diesen Berichten ist in einem Fall neben zahlreichen Schädelbrüchen auch von einem Stich in die Brust die Rede, der offenkundig von einem Messer herrühre. Mit dieser Verletzung habe sich das Gericht, so Magold, "jedoch nicht erkennbar auseinandergesetzt".

In den Ermittlungsakten von Polizei und Staatsanwaltschaft war zwar laufend von "Stichverletzungen", "Messerstich" oder "scharfem Einschnitt" im Brustbereich die Rede, im Urteil wurde daraus ein "von innen nach außen geführter scharfkantiger Schnitt". Als Tatwaffe kam demnach nur ein Handbeil infrage. Das Opfer habe man quasi mit einem Beil erstochen, "was denklogisch nicht möglich ist", hält Malte Magold in seinem Antrag fest.

Nach einem Messer gesucht hätten Polizeibeamte damals aber durchaus, und zwar im Anwesen der Familie Frey. Das bestätigen die Eltern. Sie hätten den Polizisten auch bereitwillig ein Tauchermesser ihres Sohnes und sein kleineres Taschenmesser gezeigt. Die Beamten hätten aber abgewunken, man suche nach einem Messer bestimmter Länge.

"Diese Suchvorgänge sind nicht protokolliert und/oder die Protokolle der Verteidigung und dem Gericht vorenthalten worden", heißt es in dem Magold-Antrag. Hinzu kommt, dass im Falle des Totschlags der Leichenfundort nicht der Tatort gewesen sein kann. Auch das hatte die Polizei zunächst noch selbst festgestellt.

Das Verbrechen war offenbar ein blutiges Gemetzel. Laut Obduktionsbefund war die Todesursache ein erheblicher Blutverlust. Nennenswerte Blutmengen hat man allerdings nicht gefunden, nicht einmal die geringste Blutspur hatte man auf dem Weg entdeckt, über den Frey sein Opfer nach Ansicht des Gerichts gezogen hatte. Die Schwurgerichtskammer setzte sich auch nicht mit der Frage auseinander, wie das Opfer mit einem zertrümmerten Schädel noch 20 Meter weit laufen konnte und dann noch die Kraft zu einem Gerangel mit dem Angreifer hatte. Das ist jedenfalls der Ablauf, wie ihn das Gericht in seinem Urteil festhielt.

Ähnliche Fragen tun sich bei der zweiten Tat auf, einem Mord, für den Matthias Frey verurteilt wurde. Auch bei dieser Tat muss eine Menge Blut geflossen sein, zumindest wenn man davon ausgeht, dass alles so war, wie es das Gericht rekonstruiert hat und wie es auch der Obduktionsbericht festhält. Frey soll sein schwer verletztes Opfer 50 Meter weit getragen haben. Aber weder an der Kleidung des Mannes noch am Tatort hat der beteiligte Gerichtsmediziner Blutspuren gefunden.

Opfer erdrosselt?

Nicht zur Sprache kamen Male am Hals des Opfers, die auf eine Strangulation hindeuten. Das Opfer könnte also auch erdrosselt worden sein. Malte Magold spricht in seinem Antrag von typischen Merkmalen für einen Erstickungstod durch äußere Gewalteinwirkung auf den Hals. "Im Urteil findet sich zu diesen medizinischen Fakten: nichts."

Das Tatgeschehen könne sich, so der Strafverteidiger, schlichtweg nicht so zugetragen haben, wie im Urteil aus dem Jahre 1996 festgestellt. Der Schuldspruch sei nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Vor einem guten Jahr berichteten die Nürnberger Nachrichten ausführlich über die Verurteilung von Matthias Frey. Prozessunterlagen, die unserer Redaktion vorlagen, gaben deutliche Hinweise auf zahlreiche offene Fragen, die im ersten Prozess vor 21 Jahren nicht geklärt worden waren. Jetzt liegt ein umfassender Wiederaufnahmeantrag auf dem Tisch der Justiz.

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