Die Justiz muss das gesamte Netzwerk des NSU enttarnen

8.12.2017, 06:00 Uhr

Die Behörden, allen voran die Bundesanwaltschaft, haben bisher kein Interesse gezeigt, das Netzwerk zu enttarnen. Nur eine Handvoll Namen drang an die Öffentlichkeit und suggeriert, das Trio habe ziemlich abgeschottet gehandelt.

Das ist umso erschreckender, als es eine Vielzahl an Spuren und Hinweisen gibt, die zu den Hintermännern und den wenigen "Hinterfrauen" führen, die bei den rechtsextremen Kadern mitmischen. Sie sind längst aktenkundig, Polizei und Sicherheitsapparate wissen mehr, als sie zugeben. Es ist wirklich an der Zeit, dass die Wahrheit auf den Tisch kommt.


+++ Mandy S. war auch in der fränkischen Neonazi-Szene aktiv +++


Erst wolle man das Urteil gegen Beate Zschäpe abwarten, ließ die Justiz wissen, dann kümmere man sich um das Weitere. Doch Recherchen eines Reporter-Teams von Nürnberger Nachrichten und des Bayerischen Rundfunks legen den Verdacht nahe, dass es auch darum geht, Unzulänglichkeiten und Ermittlungspannen unterm Deckel zu halten. Aufklärung ist nicht erwünscht.

Ein Zielfahnder, der auf Mandy S. und ihren damaligen Lebensgefährten im Jahr 2000 angesetzt war, kurz nachdem in Nürnberg der Blumenhändler Enver Simþek erschossen wurde, bleibt in seinem sicheren Versteck, als der Lebensgefährte auf dem Grill einen Stapel an Unterlagen verbrennt. Experten sind sich heute einig: Die Papiere hätten vielleicht Aufklärung bringen können, wo sich das gesuchte Trio aufgehalten hat. Menschenleben wäre unter Umständen zu retten gewesen. Solche unfassbaren Episoden gibt es leider viele.

Auch wenn die Ermittler es lange so aussehen ließen: Es ist eben kein Zufall, dass drei der Morde in Nürnberg stattgefunden haben sowie ein Bombenanschlag in einer Südstadt-Kneipe, der ebenfalls auf das Konto der Rechtsterroristen gehen soll.

Vielsagende Telefonliste

Denn hier waren Ortskundige im Hintergrund tätig gewesen, hier agierten die Helfershelfer, zu denen auch Mandy S. Kontakt pflegte: Ihr damaliger Handyanschluss war auf der Liste notiert, die die Polizei 2011 im Brandschutt des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße fand, das Beate Zschäpe in die Luft jagte, ehe sie sich der Polizei stellte. Auf einer weiteren Liste stand die Rufnummer von Matthias Fischer aus Fürth, einem der führenden Köpfe der 2004 verbotenen Fränkischen Aktionsfront.

Mandy S. war im Herbst 2002 nicht nur mit dem verurteilten Holocaustleugner Gerhard Ittner aus Zirndorf zum Aufmarsch mit dem Motto "Aktion Ahnenehre" nach Gräfenberg gereist, sondern auch bei Matthias Fischer zu Hause gewesen, unweit des Tennisclubs Großgründlach. Ein fingierter Ausweis dieses Sportvereins mit dem Namen Mandy S. und dem Passbild von Beate Zschäpe sorgte später für Aufsehen. Zusammenhänge, die nicht zu übersehen sind.

Viel zu lange haben die Behörden die ideologisch verbundenen Helfergruppen unterschätzt und übersehen, was sich hinter bürgerlicher Tarnung tat: Hinter der Fassade besorgten die gewaltbereiten Rechten Waffen, und es fiel nicht auf, wenn sie zum Trainieren nebenan ins Schützenhaus gingen. So wie Mandy S. und ihr kurzzeitiger Lebensgefährte aus der Neonaziszene in Büchenbach.

"Blood & Honour", diese rassistische Gruppierung, die sich den Wahlspruch "Blut und Ehre" der Hitlerjugend auf die Fahnen schrieb, wurde bis zum Verbot im Jahr 2000 als Musik-Netzwerk heruntergespielt. Doch Hass und krude ideologische Parolen wurden — und werden auch heute noch — über einschlägige Bands transportiert. Mandy S. tummelte sich auf solchen Konzerten.

Wer wissen wollte, was hier gespielt wurde, konnte es lesen. Auf einem der vielen Pamphlete von "Blood & Honour" stand: "Die Patrioten von heute müssen sich auf den größten aller Kriege, den Rassenkrieg vorbereiten. Und dafür muss man geheime Strukturen schaffen, bereit sein, sein Leben zu opfern."

Herkunft von 17 Waffen ungeklärt

Mandy S. steht symptomatisch für diese Truppe, die hinter dem Trio steht: Leute, die eine menschenverachtende, unhaltbare Rassenthese zusammenhält. Die Unterstützer sind brandgefährlich, weil ihnen ein Menschenleben nichts wert ist und sie wohl in der Lage wären, solche grausamen Taten zu wiederholen. Sie formen sich stetig zu neuen Gruppen. Noch immer hat das Bundeskriminalamt keine hinlängliche Kenntnis, woher 17 der 20 Waffen stammen, die man beim NSU ausgehoben hat. Ohne eine Seilschaft wäre die Beschaffung kaum möglich gewesen.

Es ist höchste Zeit, dass all diejenigen, die dieser beispiellosen Mordserie den Weg bereitet haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Auch die Angehörigen der Opfer haben ein Recht darauf zu erfahren, wer ihre Liebsten getötet hat. Dieses Nichtwissen zermürbt und macht sie ein weiteres Mal zu Opfern.

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