Die Rad-Revolution von Paris

26.6.2012, 11:17 Uhr
Die Rad-Revolution von Paris

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Paris, Feierabend-Zeit. Der Verkehr stockt, die Autos hupen, ihre Insassen fixieren genervt ihren Vordermann. Nur ein paar Verkehrsteilnehmer kommen zügig voran, sich trickreich an den Kolonnen vorbeischlängelnd: die Radfahrer. Zu bestimmten Tageszeiten überholen sie jedes noch so PS-starke Auto. Paris, ein Fahrrad-Paradies? Was bis vor wenigen Jahren noch wie ein unvereinbarer Gegensatz schien, wird heute Realität. Die französische Metropole ist zwar kein zweites Amsterdam - doch Drahtesel gehören längst zum Stadtbild.

Immer mehr wagen sich in das Haifischbecken aus ungeduldig drängelnden Taxis und schwerfällig tuckernden Stadtbussen, mit denen sie sich mangels gesonderter Radwege oft die rechte Fahrspur teilen - mitunter ein gewagtes Unterfangen. Den Trend entscheidend befördert haben die silbergrauen Rad-Ungetüme, die seit 2007 die Stadt erobern.

Vélib` heißen sie, eine Wortmischung aus "vélo" für Fahrrad und "libre service" für Selbstbedienung. Seit ihrer Einführung hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt auf 23.500 Exemplare, die sich auf 1400 Stationen in Paris und mehr als 30 umliegenden Vororte verteilen. An jeder Straßenecke lässt sich ein Rad abholen und zurückgeben. Was zunächst für Unmut sorgte, weil es kostbare Parkplätze wegnahm, erweist sich als Vorteil - da nun auch weniger Autos unterwegs sind.

Am Wochenende wurde das Jubiläum groß auf den Champs-Elysées begangen und eine 400 Kilometer lange Radstrecke nach London eröffnet. Dank des ausgeklügelten Leihrad-Systems blickt Bertrand Delanoë, sozialistischem Bürgermeister mit grünen Ambitionen, auf eine Erfolgsgeschichte, die sich an den Zahlen ablesen lässt: Rund 110.000 Nutzer zählt der Großraum Paris täglich, 225.000 Menschen haben ein Jahres-Abo für nur 29 Euro, hinzu kommen Tages- oder Wochen-Abonnements. Die Hälfte der Fahrten werden aus beruflichen Gründen absolviert.

Neues Gesellschaftsphänomen

"Dass das Vélib` ein solches Gesellschaftsphänomen werden würde, hätte nicht einmal ich erwartet", freut sich Delanoë. Seit seinem Amtsantritt 2001 ging das drückend hohe Auto-Aufkommen in der Stadt um ein Viertel zurück, das der Räder stieg um 41 Prozent und es wurden fast 700 Kilometer Fahrradwege gebaut. Ein echter Mentalitätswandel habe eingesetzt, sagt Christine Lambert von einer pro-Fahrrad-Vereinigung: Dank Vélib` gelte das Rad "nicht mehr als Ding fundamentalistischer Ökos oder der Armen, die sich kein Auto leisten können". Es sei en vogue und "das cleverste Mittel, sich in der Stadt vorzubewegen".

Dabei waren die Anfänge nicht leicht und das System bis vor kurzem ein Defizit-Geschäft, vor allem aufgrund des massiven Vandalismus und der Diebstähle. Allein in den ersten beiden Jahren beliefen sich die Reparaturkosten auf 8,3 Millionen Euro. 8000 Räder mussten komplett neu ersetzt werden, trotz der Kaution von 150 Euro, die jeder Nutzer hinterlegt. Doch die Zerstörungen gingen um 40 Prozent zurück, der Betreiber Jean-Charles Decaux nennt das System eine "fantastische Vitrine", das weltweit kopiert werde.

Auch die Fahrrad-Unfälle nehmen ab. Delanoë möchte den Erfolg nun wiederholen mit dem vom Vélib`-Projekt inspirierten Autolib`, einem in diesem Ausmaß weltweit einzigartigen Ausleihsystem für Elektroautos: Seit fünf Monaten stehen 3000 umweltfreundliche Gefährte zur Verfügung, 5000 Jahres-Abonnenten gibt es bereits. Paris sei die Stadt der Revolution, argumentiert ihr Bürgermeister - heutzutage der ökologischen.

So funktioniert Vélib

Insgesamt 23.500 Leihfahrräder verteilen sich auf 1400 feste Stationen im Großraum Paris. Um eine ausgewogene Aufteilung zu erreichen, transportieren täglich Kleinlaster die Gefährte von Station zu Station. Drei Viertel der Nutzer haben ein Jahres-Abonnement für 29 Euro im Jahr. Ein Wochen-Ticket kostet 8 Euro, ein Tages-Abo 1,70 Euro. Die erste halbe Stunde ist kostenlos, anschließend steigt der Tarif stündlich an. Damit soll das Vélib` nicht den Fahrradverleihen Konkurrenz machen, sondern den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Auto.

Eine Kaution von 150 Euro wird von der Kreditkarte abgebucht, falls das Fahrrad nicht ordnungsgemäß zurückgegeben wird. Täglich werden fast 300.000 Fahrten registriert - seit Beginn vor fünf Jahren sind es gar 130 Millionen. Bislang war das System ein Verlust-Geschäft, vor allem aufgrund des hohen Vandalismus und der zahlreichen Diebstähle. Seit kurzem decken sich allerdings Einnahmen und Ausgaben und die Betreiber hoffen mittelfristig auf Gewinn durch die noch immer steigende Zahl der Abonnenten.

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