Ein Besuch in der geliebten Lindenstraße

23.11.2015, 13:03 Uhr
Ein Besuch in der geliebten Lindenstraße

© Foto: WDR/Thomas Rabsch

Ganz klar: Hier wohnen Enzo und Nina. Helle Möbel im Wohnzimmer, Hochzeitsfotos und das Bild mit den Motorrollern an der Wand. Im Bad ist alles aufgeräumt, sogar die Seife ist echt und duftet. Um die Ecke im Studio dann die Wohnung von Angelina und Philip, leicht zu erkennen an der geschmackvollen Einrichtung und Angelinas prall gefülltem Schuhschrank. Auch die Küche mit der Palmen-Tapete in der WG von Iffi, Momo und Timo ist ein vertrauter Ort für mich, die Fernsehzuschauerin.

Seit 30 Jahren gucke ich regelmäßig die Lindenstraße, Deutschlands am längsten laufende TV-Familienserie. Die feiert am 6. Dezember mit einer Live-Folge im Ersten ihr großes Jubiläum, stimmt das Publikum aber schon in den Wochen zuvor auf EinsFestival mit einem Spezialprogramm auf den Geburtstag ein.

Als Fan der ersten Stunde – bei Folge 1 war ich noch Studentin – ist es für mich besonders aufregend, das Filmset auf dem Gelände des Westdeutschen Rundfunks in Köln-Bocklemünd zu besuchen – nach einem Gespräch mit dem Macher der Erfolgsserie, Hans W. Geißendörfer. Er ist es, der alle Figuren der Lindenstraße erfunden und ihnen Leben eingehaucht hat. Eine Lieblingsschöpfung hat er nicht, wie er sagt.

Seit einigen Monaten ist Geißendörfers Tochter Hana mit an Bord im Kreativ-Team. „Sie war noch kein Jahr alt, als wir auf Sendung gingen“, sagt Geißendörfer und fügt hinzu: „Ich bin heilfroh, dass sie in die Lindenstraße hineingewachsen ist und den Geist und die Haltung der Serie gut findet.“ So müsse er nicht fürchten, „dass wir irgendwann zu einer normalen Serie schrumpfen“.

Vertraute Schauplätze, aber die Illusion schwindet

Einmal durch die echte, 150 Meter lange Lindenstraße zu wandeln, die sich angeblich in München befindet, ist schon ein besonderes Erlebnis: Vorbei an der Villa von Dr. Dressler, wo inzwischen Iris Brooks praktiziert, vorbei am Supermarkt „Naro“ und dem berühmten Mehrfamilienhaus Lindenstraße 3, vorbei am Café Bayer und dem Restaurant Akropolis.

An der Ecke fährt auch seit Jahren immer der Bus ab. Heute ist alles leer. Ich habe die Straße, wo sich sonst die Beimers, Zenkers und Zieglers begegnen und wo Penner Harry jahrelang auf der Bank nächtigte, ganz für mich allein. So schön der Spaziergang auch ist, so sehr werde ich desillusioniert.

Die Gebäude sind nur flache Kulissen. Klopft man dagegen, spürt man Holz. Hinter den Türen befindet sich entweder nichts oder Lagerraum. Die Wohnungen, das griechische Lokal und die Treppenhäuser sind in zwei riesigen Studios aufgebaut, wie Ilonka von Wisotzky vom Presseteam der Lindenstraße erläutert.

Nur ins Café George und in den Friseursalon kann man hineingehen. Sie verrät viele Details: Dass die Lindensträßler besonders umweltbewusst sind und ihre Brötchen immer in einem mitgebrachten Stoffbeutel kaufen, ist zwar einerseits vorbildlich, andererseits aber auch notwendig: „Das Rascheln von Papiertüten würde sonst stören bei den Dialogen, die über die Ladentheke geführt werden“, erklärt von Wisotzky.

Ein Besuch in der geliebten Lindenstraße

© Foto: oh

An diesem Tag sind drei Schauspieler des festen Ensembles, das aktuell aus 34 Erwachsenen und neun Kinden besteht, am Set: Marie-Luise Marjan (Mutter Beimer) sowie Andrea Spatzek (Gabi Zenker) und Jo Bolling (Andi Zenker). Pro Tag entstehen etwa sieben Sendeminuten, 9500 Drehtage wird es bis zur Jubiläumsfolge geben. Gefilmt wird an fünf Tagen pro Woche mit einer nur fünfwöchigen Drehpause pro Jahr.

In der Mittagszeit treffen sich Darsteller, Techniker und weitere Mitglieder des großen Teams in der gemütlichen Lindenstraßen-Kantine. Sie essen Nudeln mit Gulasch und Salat. Die Atmosphäre ist familiär und entspannt. Die Pause ist knapp bemessen und dient der raschen Stärkung. Marjan und Spatzek sind stark geschminkt, man merkt ihnen die Konzentration an, dennoch grüßen sie freundlich und freuen sich über die Verehrerin an ihrem Tisch.

Nicht nur die Zuschauer halten der Serie die Treue, sondern auch etliche Schauspieler, wie die beiden Frauen. Sie sind von Anfang an bei der Lindenstraße dabei gewesen. „Mutter Beimer“ ist längst Kult. Auch ihr Filmsohn „Klausi“ (Moritz A. Sachs) stieg 1985 als Siebenjähriger ein und spielt heute einen zweimal geschiedenen, alleinerziehenden Vater.

Ein Traum wird wahr: Komparsin im Jahr 2016

28 Männer und Frauen haben in 30 Jahren die Drehbücher zu 1559 Folgen geschrieben, 25 Regisseurinnen und Regisseure haben die Lindenstraße inszeniert. Neben 262 Haupt- und 2200 Gastrollen sind auch rund 27 000 Komparsen in der Serie zum Zug gekommen. Letztere durften durch die Straße schlendern, im Bioladen einkaufen oder im Biergarten sitzen, so wie ich es nächstes Jahr als Komparsin tun werde! Auch hat die Serie, die 31 Hochzeiten und 46 Todesfälle zählte, immer wieder heiße Eisen angepackt: sexuelle Orientierung, künstliche Befruchtung, Aids, Down-Syndrom, Hartz IV, Cybermobbing, religiöse Konversion, Terrorismus, Rehabilitation, Mord und Selbstmord, um nur einige zu nennen.

Die Serie ist zudem stets politisch aktuell. Obwohl jede Folge etwa drei Monate im Voraus gedreht wird, können spontan passende Dialoge oder Tagesschau-Ausschnitte kurzfristig eingestreut werden. Auch ist Toleranz gegenüber dem Islam das Credo der Lindenstraße. „Das Thema Flüchtlinge wird bei uns im kommenden Jahr ganz groß“, verrät Geißendörfer. Im Übrigen würden in der Jubiläums-Sendung viele spannende Ansätze gepflanzt. Geißendörfers Wunsch ist es, mehr neue Fans hinzuzugewinnen. Ein Kino-Trailer, der ab Ende November zu sehen sein wird, soll Lust auf Lindenstraße machen.

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