Ein Jahr Trump und die Sehnsucht nach dem alten Amerika

18.1.2018, 05:16 Uhr
Trotz vieler Skandale konnte sich  Donald Trump ein Jahr im Amt halten.

© Ralph Freso/afp Trotz vieler Skandale konnte sich Donald Trump ein Jahr im Amt halten.

Frau Professorin Paul, wie hat sich das deutsch-amerikanische Verhältnis verändert, seit Präsident Donald Trump sein Amt antrat?

Heike Paul: Ein Jahr ist ein kleiner Zeitraum, der nicht so sehr ins Gewicht fällt, wenn man die transatlantischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit betrachtet. Und: So alt wie das deutsch-amerikanische Verhältnis selbst sind auch Phasen, in denen gegenseitige Stereotypisierungen oder Dämonisierungen Konjunktur hatten. Das ist also nichts, was erst mit Trump eingezogen wäre, wenngleich mancher Vorbehalt zuletzt wieder in zugespitzter Form auftauchte.

Zum Beispiel?

Paul: Nehmen Sie die deutsche Wahrnehmung, dass Amerikaner kulturlose Banausen seien. Als Amerikanistin ist das für mich besonders schmerzhaft, weil es eben nicht wahr ist. Allerdings befördert Trump durch sein Verhalten eine derartige Wahrnehmung. Es wirkt fast schon wie eine Karikatur, wie sehr Trump diesem Stereotyp entspricht. In Michael Wolffs kürzlich erschienenem Buch "Fire and Fury" über die Trump-Administration kann man etwa nachlesen, wie Trump abends in seinem Bett sitzt, Cheeseburger isst und dabei auf seine vier Fernsehbildschirme schaut.

Wie steht es aktuell um die transatlantischen Beziehungen?

Paul: In all jenen Bereichen, in denen es eingespielte Kommunikationsprozesse gibt, etwa bei Fortbildungsprogrammen, herrscht fast "business as usual". Ich sehe das als positives Zeichen, dass sich die direkt Beteiligten nicht komplett verwirren und beirren lassen möchten. So arbeite ich nach wie vor sehr gut etwa mit Mitarbeitern der amerikanischen Botschaft in Berlin zusammen, die Sorge dafür tragen, dass die Kontakte erhalten bleiben und dass der Austausch funktioniert. Auch die Generalkonsulin und der neue Konsul für öffentliche Angelegenheiten in München bewirken viel, etwa bei Besuchen in Schulen. Allerdings sind wir eines der wenigen Länder, die noch immer keinen neuen US-Botschafter haben. Gäbe es nicht die zuletzt viel gescholtene Gruppe der Berufsbürokraten, die die Dinge am Laufen halten, würde noch viel mehr im Argen liegen, nicht nur im transatlantischen Verhältnis.

Viele Amerikaner, nicht nur solche, die Trump gewählt haben, scheinen sich das gute alte Amerika zurückzuwünschen, das es nach dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht bis zum Ende des Vietnamkriegs gab. Weshalb?

Paul: Zygmunt Bauman sagt in seinem posthum veröffentlichten Buch "Retrotopia": Eigentlich schaut man nach vorne, da künftig alles besser werden müsste. Aber das trauen wir uns im Moment nicht. Wir haben so viele Zukunftsängste, deshalb schauen wir lieber zurück und setzen auf die Rückkehr zu etwas, was wir schon hatten. Dabei wissen wir, dass Nostalgie dafür bekannt ist, dass sie nicht erinnert, sondern selektiv ist und das Vergangene überhöht. So sehnen sich manche in den USA nach der Zeit vor den 1960er/70er Jahren zurück, etwa nach den 1950er Jahren mit ihrem Wirtschaftsboom und der vermeintlich klaren sozialen Ordnung, als es den meisten ökonomisch gut ging. Ausgeblendet wird dabei, dass die Phase des Kalten Kriegs eine total repressive Zeit war. Dennoch macht Trump mit dieser Art Sehnsucht Politik.

Was ist mit den anderen Amerikanern los? Mit denen, die an Naturwissenschaften glauben, für Bürgerrechte einstehen, weltoffen sind? Warum gelingt es ihnen nicht stärker, sich ihr Land zurückzuerkämpfen?

Paul: Wir sehen durchaus größere, öffentlichkeitswirksame Proteste. Außerdem gibt es zahlreiche Menschen, die sich auf niedrigerem Level engagieren. Das bekommen wir häufig nicht mit, weil darüber nicht berichtet wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass wieder eine stärkere Politisierung der Bevölkerung erfolgt – auch in den USA. Eine Kollegin von mir hat seit Trumps Wahl zum Beispiel einen anderen Alltag. Werktags arbeitet sie, samstags geht sie demonstrieren, sonntags schreibt sie ihrer örtlichen Abgeordneten, um sie über Missstände zu informieren. Ich denke, dass man einen längeren Atem braucht. Mit der von einigen erwarteten spektakulären Amtsenthebung von Trump jedenfalls wird es wohl so schnell nichts werden – obwohl der Herr offenbar keine Lust hat zu regieren und trotz aller Skandale.


Heike Paul (49) ist Professorin für Amerikanistik am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Uni Erlangen-Nürnberg. Sie studierte in Frankfurt am Main und im amerikanischen Seattle, bevor sie an der Ludwig-Maximilians-Uni München promoviert wurde. 2004 habilitierte sie sich in Leipzig mit einer Schrift über die Repräsentation von Afroamerikanern in der deutschen Literatur zwischen 1815 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren führten sie in die USA und

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