Ein Leben ohne "Lindenstraße" ist nur schwer vorstellbar

9.12.2016, 19:48 Uhr
Ein Leben ohne

© Foto: privat

Ein riesiger Kinosaal – gefüllt mit "Lindenstraßen"-Freunden. Auf der Bühne unter der Leinwand sitzen die Stars, mit denen wir allsonntäglich lachen, weinen und bangen. Was für eine Kulisse! Sogar der treue Zürcher "Lindenstraßen"-Fanclub "Mutter Beimer" ist angereist. Markus Rickli und seine Schweizer Freunde erzählen stolz, dass heuer zwei ihrer Mitglieder als Komparsen in der Silvesterfolge zu sehen sein werden.

Als Moderator Oliver Witt vom Westdeutschen Rundfunk die rund 300 Zuschauer fragt, wer denn schon von Anfang an, also seit 1985, die Serie verfolgt, gehen fast alle Hände in die Höhe. Man ist also unter sich. Doch warum in Speyer? Wird doch die "Lindenstraße", die in München spielt, in Köln gedreht. In dem Museumskomplex der rheinland-pfälzischen Domstadt befindet sich seit einigen Jahren ein kleines "Lindenstraßen"-Museum. Hier ist unter anderem die Originalküche von Treppenhausschreck Else Kling ausgestellt. Auf der Eckbank versammeln sich die Schauspieler später zu einem Fototermin und geben dann eine Autogrammstunde.

Die Macher der "Lindenstraße" haben sich für das Fan-Fest etwas Schönes überlegt. Sie zeigen in einem Spezial-Zusammenschnitt die originellsten Szenen aus den Weihnachtssendungen und haben diesen Film "Schwarze Raben, Hausmusik und Weihnachtsgans", genannt.

Erinnerungen an die großen und kleinen Katastrophen werden wach, die die "Lindenstraße" regelmäßig zum Fest erschüttern: Krankheiten und Tod, Familienstreits, Beziehungskrisen, dazwischen schiefe Blockflötentöne, falsche Geschenke und lange Gesichter, aber auch Spontan-Partys und ganz viel nachbarschaftlicher Zusammenhalt. Unvergessen ist die Szene, als die schwangere Anna Ziegler kurz vor Weihnachten erfährt, dass ihr Baby mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird. In den Sequenzen aus den folgenden Jahren sieht man die Familie dann glücklich mit ihrem behinderten Sohn Martin unterm Tannenbaum.

Beeindruckend auch die Ausschnitte aus der Folge zum 30-jährigen Lindenstraßen-Jubiläum 2015, als das Ensemble live spielte – ein einmaliges Ereignis im Deutschen Fernsehen. Damals wurde Publikumsliebling Erich Schiller (Bill Mockridge) durch die Hand eines Freundes gemeuchelt. Seine trauernde Witwe Helga Beimer (Marie-Luise Marjahn) hat mittlerweile mit dem Ehepaar Zenker eine Alters-WG gegründet, die natürlich nicht konfliktfrei funktioniert. Jo Bolling, der den Andi Zenker spielt, fühlt sich in der Wohngemeinschaft auch als Schauspieler nicht besonders wohl: „Ich will noch nicht in dieses Alter driften“, gibt der 75-Jährige zu. Und auch die 76-jährige Marie-Luise Marjahn, die seit Folge eins dabei ist, hat den Wunsch, als Helga Beimer langfristig nicht "liebelos zu bleiben".

Doch auf das Drehbuch haben die Schauspieler keinen Einfluss. Sie können nur ein Grundthema vorschlagen: "Sex im Alter" wäre ein solches. Alle gesellschaftlich relevanten und aktuellen Themen landen über kurz oder lang in der Kultserie. Momentan braut sich wieder einiges zusammen, was für reichlich Zündstoff vor dem Fest sorgen wird: Da will ein "Lindenstraßen"-Bewohner nicht länger als Mann, sondern endlich als Frau leben. Da nimmt eine junge Familie einen unbegleiteten Flüchtling aus Nordafrika auf. Da will eine alleinstehende Frau ein Baby – aber keinen Mann dazu. Und wieder einmal stehen Versöhnungen und Trennungen ins Haus.

Auch Kurioses geschieht immer wieder an Weihnachten: Da wird statt einer gebratenen eine lebendige Gans auf den Tisch gestellt – aus Protest gegen den Fleischkonsum. Schrill ist auch die Festtagsfolge, als die Ü-50-Männer der "Lindenstraße" im Jahr 2013 nackt für einen Kalender posierten, um die Problematik Prostata-Krebs zu thematisieren.

Und der kleine Paul, der gern auf den Weihnachtsmarkt möchte, wird von seiner Mutter Lisa angepflaumt: "Nein, wir sind doch jetzt Moslems!" Lisa Dagdelen heißt im wirklichen Leben Sontje Peplow und ist mit Film-Ehemann Murat Dagdelen (Erkan Gündüz) beim Fan-Fest dabei. Die 35-Jährige spielt seit ihrem zehnten Lebensjahr eine schwierige Rolle: Als Kind wurde Lisa von der Mutter misshandelt, als Jugendliche erschlug sie einen Pfarrer und lebte jahrelang mit diesem Geheimnis. Lisa verkörpert das Serien-Biest. Sie ist intrigant, manipulativ, beherrscht ihren türkischen Ehemann und drillt Sohn Paul. Murat zuliebe konvertierte Lisa einst zum Islam, trug vorübergehend ein Kopftuch und setzte sich für den Moscheebau in der Lindenstraße ein. Doch immer wieder fällt sie in alte Verhaltensmuster zurück – und macht ihren Mitmenschen das Leben schwer.

In der Realität ist Sontje Peplow, wie ihr altdeutscher Vorname verrät, ein sonniger Mensch. Was macht dieses Doppelleben mit einem? "Man kommt immer sehr ausgeglichen von der Arbeit, weil man am Set seine Biestigkeit ausleben kann," antwortet die Lisa-Darstellerin, die übrigens nie Schauspielunterricht genommen hat.

Im Fernsehen ist sie zweifache Mutter und hat auch im wahren Leben zwei Kinder, die sechs und vier Jahre alt sind. "Die wissen, dass ich in der Serie einen anderen Mann und andere Kinder habe", lacht die 35-Jährige. Dass sie ihre Sprösslinge stets mit zu Dreharbeiten in die Kindergruppe am Filmset bringen konnte, rechnet sie ihren Brötchengebern hoch an. Ein Leben ohne "Lindenstraße"? "Das kann ich mir nur schwer vorstellen!", sagt sie. Den Fans geht es genauso.

Eine Drehorgel, aus der zum Abschluss der Veranstaltung die "Lindenstraßen"-Melodie erklingt, sorgt bei fast allen im Saal für feuchte Augen.

Die NZ verlost zehn "Lindenstraßen"-Kalender 2017. Wer einen gewinnen möchte, schreibt bitte eine Postkarte unter dem Stichwort "Lindenstraße" an die Nürnberger Zeitung, Redaktion, Marienstr. 9, 90 402 Nürnberg oder eine E-Mail an nz-redaktion@pressenetz.de, jeweils bis einschließlich 17. Dezember.

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